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Über die Friesenwall-Räume
1. 11. 1993
[Undatierter Text - kann jmd mit der Datierung helfen?]
Angesichts der Friesen-Räume hat sich jetzt vorschnell die Formulierung 'Kunst als soziale Praxis' gefunden. Damit ist die Gefahr eines Labels gegeben, dass einerseits nahtlos an ähnliche Begriffe aus den Kunstforum-Bänden der 70er und frühen 80er anknÜpft ("Kunst als sozialer Prozess", 1978; "Kunst im sozialen Kontext", 1980) und zum anderen eine unklare andere Seite der MÜnze aufbaut. Ist die RÜckseite von 'sozialer Praxis' 'soziale Theorie'? Oder 'Ästhetische Theorie', oder 'Ästhetische Praxis'?
In jedem Fall schwingen Oppositionen mit, die wieder mitten in die Situation der Kunst in den 70ern fÜhren. Ob Happening, Fluxus, Performance oder 'soziologische Kunst'- es war immer das Dilemma der entweder-oder-Positionen, die für oder gegen etwas entschieden, was meist HandlungsunfÄhigkeit nach sich zog. II. Eine Weile lang, in den Karriere-orientierten 80ern, wurde die Formel ausgegeben, dass in den 70ern die Ateliers geschlossen worden waren und die KÜnstler ihre Arbeit auf die Strasse verlagert hatten. Was wahrscheinlich grundsÄtzlich nicht falsch ist, nur das darin immer der Fakt eines Kunstproduktionsloches mitschwang. Als wären da zehn Jahre kunstgeschichtlicher Stillstand gewesen, in denen nichts entstand. Mit dieser Verharmlosung und Reduzierung auf Kunst = Produkt fallen die in den 70ern geleisteten, radikalen Zweifel am Werkbegriff, d.h. einer 'abgeschlossenen Einheit', an Objekt- statt Situationsorientiertheit, mit aus der Diskussion.
Die Tatsache der in den 70ern massgeblichen Suche nach kunstfernen RÄumen steht dann, ohne diese Grundlagen-Angriffe, nur noch als formaler Griff da. "Kommunikations-Objekte" betitelte Wolf Schän 1973 seinen Text Über kÜnstlerische Arbeiten, die (so in der redaktionellen Vorbemerkung) "fÜr sich gesehen noch keine Kunstwerke sind, sondern erst im Prozess der Benutzung, des Gebrauchs ausserhalb rein Ästhetischer Betrachtung, zu solchen werden" .
Die Positionierung von Kunst nimmt Wolf Schön folgendermassen vor: "Was sie bauen, gleicht Trimmgeräten fÜr den geistig und körperlich verfetteten Konsum-BÜrger, und diese Trimmgeräte sind zugleich Apparaturen für eine neue Art von Grundlagenforschung, die bewusst a-wissenschaftlich ausgerichtet ist, weil auch die Wissenschaft längst im Gleichschritt der konsumorientierten Leistungsgesellschaft marschiert."
Daran lässt sich der prinzipielle Unterschied zu den aktuellen Positionen festmachen. Die Harmlosigkeit, die im Beschreibungskonstrukt 'TrimmgerÄte' enthalten ist, setzt sich in der bewussten Separierung fort - und genau das ist es, was jetzt zur Diskussion steht. Der Eigenauftrag aktueller Produktionen bedarf weder der Konsumkritik als Legitimation noch soll das Spezialistentum ("a-wissenschaftlich") bestÄrkt werden. Was heute "gebaut" wird, ist immer auch Arbeit an der Herstellung von den Bedingungen, dass etwas entsteht. Und dieser Teil der kÜnstlerischen Praxis ist es, der den Anspruch auf 'Kommunikation' oder 'sozial' rechtfertigt.
Die Utopie der 70er Jahre war, dass Künstler als Auslöser und Anreger sozialer Prozesse, d.h. in ausserÄsthetischer Realität, arbeiten. Damit entstand der Konflikt der GaleriekompatibilitÄt: lÄsst es das ideologische Reinheitsgebot zu, in systemimmanenten Strukturen zu arbeiten? Eine Frage, die allerdings heute noch (wieder?) gestellt wird. Zum einen als Forderung, die Distribution der Arbeiten selbst zu bestimmen. Zum anderen in Hinsicht auf Marktorientiertheit, d.h. die politische Dimension der Produktionen und Produktionsbedingungen. Eine Hinsicht, die in der Arbeit bzw. Struktur von Büro Berlin massgebend war. Statt Ausstellungen organisierte Büro Berlin 'Situationen', d.h.
1. Ausstellungsorganisation im Selbstauftrag in kunstfernen RÄumen;
2. Einbindung von Produktionsbe- dingungen als Teil kÜnstlerischer Praxis;
3. Ortsbezogenheit;
4. Schaffen einer Situation, die zur "Kompatibilität aller gegenwärtig produzierten Kunstformen" fährt.
Statt 'Ausstellungsraum', 'Teilnehmer' und 'Veranstalter' wurden die Begriffe 'GÄstezimmer', 'Gesellschaftsraum', 'Gäste', 'Gastgeber' eingesetzt - inklusiv der daraus folgenden (sozialen) Konsequenzen (Zusammenarbeit statt Arbeitsteilung etc.).
Die Art der Produktion - z.B. wurden vorangegangene Ausstellungen in der Bäckhstrasse immer wieder neu einbezogen - und Distribution war weder eine Entscheidung fÜr noch gegen Marktorientiertheit, sondern die berschreitung (markttechnisch) gezogener Grenzen, also das Schaffen eines Handlungs- raumes.
Das dies in Hinsicht auf die Produktionsbedingugen, vor allem die Aufhebung der Trennung zwischen Ausstellungsorganisator und Aussteller, scheiterte (in der letzten Ausstellung, "Emotope"), Ändert nichts an der Bedeutung, die dem Projekt "Büro Berlin" zukommt. Die Frage der Marktorientiertheit und darÜber der Arbeit am Produktionsbegriff ist auch eine entscheidende Hinsicht, die in den Friesen-RÄumen zur Sprache - zur Kritik - kam.
Angesichts der extrem unterschiedlichen Gruppen, die teils seit Jahren bestehen (Selektion, Westwerk) oder erst seit kurzem formiert sind ("Botschaft e.V.", Ring Club), lÄsst sich das da nicht global abhandeln.
"Selektion" (Mainz/Frankfurt) z.B. ist eine Gruppe, die aus Wissenschaftlern und Künstlern besteht. Bekannt ist Selektion vor allem aus dem Zwischenbereich Instustrial und Neue Musik. Die Aktivitäten der Gruppe werden unter drei Sektionen angekÜndigt: Selektion Optik (seit 1984, hauptsÄchlich mit Fotokopierern arbeitend), Selektion Akustik (seit 1982, Musikkompilationen auf Tapes und CDs ) und Selektion Theorie (seit 1992) .
Die verschiedenen Sektionen sind personell projektmÄssig nicht notwendig unterschieden . WÄhrend der "Interface" in Hamburg z.B. fÜhrte Achim Wollscheid mit Joachim Pense ein 'ArbeitsgesprÄch' als Workshop-Beitrag durch. Statt die Zeit mit einem Vortrag zu fÜllen, begannen beide ein neues Projekt zu besprechen - was bei den anwesenden Organisatoren auf etwas UnverstÄndnis stiess, bei den anwesenden Musikhochschulstudenten je- doch zu konkreter Beteiligung fÜhrte. Fuer alle AktivitÄten von Selektion gelten bestimmte grundsÄtzliche Ausrichtungen: die Arbeit in Kooperationen, der explizite Einbezug der Distributions- und Produktionsbedingungen als Teil der Arbeit und projektorientiertes (arbeitsteiliges) Vorgehen.
Selektion Theorie z.B. bezieht die Sprache als kÜnstlerisches Problemfeld mit ein - mit dem Symposium "IntermediÄre Sprache" wird versucht, eine die interdisziplinÄre Arbeit tragende Sprache zu entwickeln.
FÜr die verschiedenen Arbeiten werden jeweils bestehende Strukturen benutzbar gemacht, ob das jetzt der Hessische Rundfunk, eine Galerie, Kunstzeitschriften oder Musikfestivals sind.
Die Oppositionen sozial / Ästhetisch, Markt- / Alternativstruktur werden unerheblich gegenÜber der Notwendigkeit, handlungsfähig zu bleiben. Und dazu gehärt ent- scheidend die Mäglichkeit, Einsicht in Funktionszusammenhänge zu er- halten - wie 'Gesellschaft' funktioniert, vom bürokratischen bis zum Spezialisten-Alltag.
III. Was ich hier mit 'handlungsfÄhig' bezeichnet habe, ist vielleicht eben das, was zu dem Label "soziale Praxis" fÜhrt. Denn der Bezug - zu Gesellschaft, Alltag etc. - ist in kÜnstlerischen Arbeiten nicht Über Themen, die vorgestellt werden, gegeben. Es sind vielmehr die Produktions- und Distributionsweisen, in der kÜnstlerische ErfahrungszusammenhÄnge verlassen werden und in alltÄgliche Erfahrungs(- und Arbeits-)rÄume eingegriffen wird. Statt erzÄhlerischen, vor- oder darstellenden BezÜgen sind es an- schlussfÄhige Handlungsangebote, was sich auf die jeweilge Gruppe beziehen kann, auf die Organisationsstruktur und/oder direkt gesellschaftliche BezÜge. 'AnschlussfÄhig' ist hier nicht im sozial- theoretischen Sinne zu verstehen (nach Habermas), also nicht als Integrationsbildung, sondern als Partizipationsangebot. Entscheidend in der hier versuchten Beschreibungsweise kÜnstlerischer Arbeiten, die soziale Handlung als basales Kriterium enthalten, ist die Beobachtung, dass Ästhetische Eingriffe/Umformulierungen ohne gleichzeitigen Ausschluss ausserkÜnstlerischer BezÜge entstehen - und umgekehrt. Damit entfÄllt auch das Reinheits-Dilemma, denn die Bezugsstrukturen kännen dann auch Institutionseinladungen ertragen. Was allerdings strikt herausfÄllt, ist die (kunsthistorische) Frage nach der traditionellen 'QualitÄt' - wenn es in dem herkämmlichen Sinn kein 'Werk' mehr gibt, welchen Kriterien sollten dann gesetzt werden? Und nach Stringenz, denn Botschaft e.V. (Berlin) oder Sammlung Brinkmann (DÜsseldorf) z.B. sind weniger ein Label fÜr die Arbeit eines fest konzipierten KÜnstlerkollektivs als ein Platzhalter fÜr AktivitÄten. In der Sammlung Brinkmann bestimmt der jeweilige 'Projektleiter' die Zusammensetzung der Projektgruppe. Das aktÜlle Projekt gibt vielleicht am deutlichsten die Hinsicht der Beschreibungsweise an: "Tausend Gute Taten" - eine Aufforderung an alle, die sich angesprochen fÜhlen, eine "gute Tat" einzureichen. Woraus sich z.B. in KÜrze ein andaÜrndes (Mailbox-)GesprÄch Über 'Moral' entwickelt hat. "Tausend Gute Taten" wird in einem Film eine abschliessende Form erhalten.
IV. Das Thema der soziale HandlungsfÄhigkeit ist der Pfad. Offensichtlich ist zur Zeit, dass von Gruppen und von Einzelnen kÜnstlerische Arbeiten entstehen, die ausschlusssetzende Polarisierung aufzuheben beginnen. Wenn soziale ZusammenhÄnge als Ordnungsmodell fÜr kÜnstlerische Praxis behauptet werden, dann ist das Schaffen von HandlungsrÄumen und die Organisation der HandlungsverhÄltnisse das entscheidende, gegenÜber der Organisation Ästhetischer Beziehungen. Was gerade Niklas Luhmanns - genereller - Feststellung widerspricht, dass in der Kunst als "geschlossenem System" alles, also auch soziale Handlung, einem ReÄsthetisierungsprozess unterworfen ist. Ich meine, dass selbstverstÄndlich die Ästhetische Dimension nicht ausge- schlossen werden kann, aber eben weder kontrapunktisch eingesetzt wird, noch mit dem traditionellen Hächstrelevanz-Anspruch auftritt. Was ja dann auch hÄufig zur Frage nach der Kunsthaftigkeit fÜhrt. Fehlende Kunsthaftigkeit - ohne diese dann allerdings nÄher bestimmen zu kännen - wird oft als Verhinderungsmittel bestimmter Kunstproduktionen benutzt. Oder umgekehrt: Dieses entstehende Feld, erstmal definiert durch das Schaffen von alternativen Produktions- und Distributionsbedingungen, ist eine Art Schnittstelle zwischen verschiedenen Gebieten. Dort treten z.B. auch Gruppen wie "Act Up" oder "Paper Tiger" auf, kunstweltlich gesehen allerdings eher in einer Gastaufenthalts-Situation. Wird hier dann vorschnell mit dem Label "Kunst als soziale Praxis" hantiert, ist das m.E. ein Verfehlen der sich konstituierenden OEffnung. Benätigen solche hauptsÄchlich ausserhalb des Kunstsystems agierenden Gruppen einen Kunst-Stempel? Mir scheint es eher, dass umgekehrt das Kunstsystem solche system- unspezifischen Aktivisten zur eigenen Umdefinierung benätigt. Benutzt. Die Feststellung einer "AEsthetisierung" und "ReÄsthetisierung" hÄlt als EntschÄrfungswaffe her. Nicht ausgeschlossen ist auch die Arbeit in institutionellen Kunst- Orten, die dann allerdings eine FunktionsverÄnderung erfordern. Nicht das Zur-VerfÜgung-Stellen eines Raumes ist gefragt, sondern die den Institutionen eigene Macht innerhalb bÜrokratischer GefÜge, die zur Durchsetzung von Projekten einsetztbar ist.
V. Der den hier zugegebenermassen hächst unterschiedlichen Beispielen zugrundeliegende Grundschritt steht unter der Bedingung (verschiedener) politischer Vorgaben. Zur weiteren ErklÄrung mÜssen Arbeiten genannt werden, die ausserhalb des anfangs aufgebauten Kontextes der "Friesen-Räume" stehen.
Das zentrale Thema des Chicagoer Künstlers Dan Peterman ist Recycling. Im Winter 1988 bediente er sich der Gewohnheit der berittenen Chicagär Polizei, den staatlichen Pferdemist zu entsorgen. "Chicago Compost Shelter": Dan Peterman schÜttete einen VW-Bus komplett mit dem Pferdemist zu, baute einen kleinen Eingang ins Innere und liess die Fenster frei. Da der Mist beim Kompostieren WÄrme freisetzt, heizte sich der Bus auf und wurde von Obdachlosen als Winterquartier - gefrorener Mist stinkt nicht - benutzt. In einer Institutionsausstellung benutzte er den gleichen Kompostierungs- prozess, um durchsichtige Plastikmäbel - dank des Pferdemist' - mit Gas zu fÜllen. Das durch die Benutzung entweichende Gas verbrennt in einer Gasflamme, die zugleich Licht spendet. In einem anderen Projekt, "Setting Out/Setting Back" (1990) baute Peterman StÜhle aus Einkaufswagen, stellte die dann allerdings nicht Stiletto-like in feine Schaufenster, sondern auf einen freien Platz. Dort, an einen Baumstumpf gekettet, der zugleich als Tisch dient, ruhen sich jetzt die Homeless auf ihrem Dosen-Einsammlungs-Runden aus - ihre mit Recyclingware gefÜllten Einkaufswagen daneben parkend.
Ein letztes Beispiel ist das 'Restaurant' "Underfood", dass Peterman zusammen mit Joe Scanlan betreibt. Die AnfÜhrungsstriche sind deswegen notwendig, weil hier kein Ware-Geld-Tausch, sondern Ware- Ware-Tausch bzw. Recycling grundlegend ist. Je nach Jahreszeit werden Nahrungsmittel 'recycelt', z.B. Thanksgiving die Überall weggeworfenen KÜrbisse. Oder der "Garbidgefish" - ein durchaus nahrhafter und wohlschmeckender Fisch, der von den Fischern aber gewähnlich ignoriert, d.h. gefangen und weggeworfen wird. Der Betrieb basiert darauf, dass Dinner und GetrÄnke mit mitgebrachten Dingen 'bezahlt' werden: mit alten Klamotten, Dosen, Leergutflaschen oder BÜchern. Da der Raum vom nonprofit-recycling-Hof kostenlos zur VerfÜgung gestellt wird - ein Hinterraum in einem etwas abgelegenen Viertel - funktioniert dies Prinzip bereits seit mehr als einem Jahr.
Handlungsräume zu schaffen, die nicht auf Passivität, auf Spektakel, ausgerichtet sind, sondern als Initial wirken, ist ebenso entscheidend für den Düsseldorfer Künstler Andreas Siekmann. Ausgangspunkt seines Projektes "1 aus 22" ist das Panzerehrenmal in Potsdam, 150 m von Berlin entfernt. An diesem Denkmal kommen verschiedenste politische Vorgaben zusammen: Gebaut wurde es 1946 zur Erinnerung der Einnahme Berlins, also als Zeichen des 'gelungenen' Kampfes gegen den Faschismus. Die Tafel, auf der die Namen der dabei gefallenen russischen Panzerbesatzung (der 'erste', der in Berlin eintraf) standen, ist im Laufe der Jahre abhanden gekommen. 1954 wurde das Denkmal 200m versetzt, auf DDR-Territorium; 1969 erneut, diesmal aufgrund des Autobahn-Ausbaus; 1991 wurde der Panzer demontiert. Die 22jÄhrige Geschichte dieses 'Lanschaftselements', denn als solches werden DenkmÄler rezipiert, ist in hächstem Masse Spiegel der politischen Geschichte Deutschlands. Siekmanns Projekt sieht zum einen die Neuinstallierung der Tafel vor, zum anderen eine auf 22 Jahre angelegte, jÄhrliche Ausschreibung und jÄhrliche Installierung fÜr den leeren Sockel. Das Rotationsprinzip ermäglicht eine permanente Auseinandersetzung mit dem Ort und der Geschichte Deutschlands. Die jedes Jahr neueingereichten VorschlÄge sollen als Modelle in einem (noch zu baÜnden) Ort neben dem Denkmal verbleiben. Siekmanns eigener Vorschlag sieht z.B. vor, einen LKW mit der Aufschrift "Bananen fÜr Berlin" zu installieren. Bis zur Wiedervereinigung belieferte eine Hamburger Speditionsfirma fÜr SÜdfrÜchte unter diesem Slogan West-Berlin. Ein Projekt, dass bei den Verantwortlichen auf grosses MisstraÜn trifft, denn Siekmann hat hier weder "Stadtdrappierungen" noch name- dropping vorgesehen. "Die Sockeldiskussion am richtigen Ort" (Siekmann) ist dabei ein Punkt, ein anderer die Notwendigkeit, dass die Auseinandersetzung nicht durch name-hunting Übergangen werden kann: WÜrden berÜhmte Namen wie Christo o.Ä. eingeladen, kÄme sofort der kathartische Effekt: jede Konfrontation mit Fragen nach Kunst und Macht, nach der Funktion von DenkmÄlern, nach Geschichte und Politik, und auch nach 'Kunstanspruch', wÜrden ausgeschlossen. Es ist ja gerade die Brisanz des Ortes, die hier Kunst als Initial wirksam werden lassen kann. Diese Projekte von Peterman und Siekmann zeigen, wie wenig hilfreich traditionelle Trennungen angesichts sozial-intervenierender Kunst sind.
Die anfangs von W. Schön zitierten Abgrenzungen sind hier Überschritten bzw. ausser Kraft getreten. Da eine Überschreitung von Spezialistentum und Bereichstrennung vorrangig ist, die zur lange ausgeklammerten Frage nach der Funktion von Kunst fÜhrt, kann auch von einer 'sozialen Praxis', d.h. einer Ausschliessung kÜnstlerischer berlegungen, nicht die Rede sein. Wenn es um eine Neustrukturierung von Produktions- und Distributionsbedingungen geht, hilft die BerÜhrungsangst mit den Kunstwelt-Gebieten und den dort entwickelten Differenzierungen keineswegs weiter. Entscheidend ist hier, dass es nicht um die Aufläsung der Differenzen, sondern um die berschreitung geht.
V. Über einem derartig direktem Zugriff auf gesellschaftlich relevante Bereiche wie die Beispiel von Dan Petermann und Andreas Siekmann kännen die Friesen-RÄume-Gruppen kaum beschrieben werden. Deren AktivitÄten basieren z.T. auf dem Aufbau einer in der Stadt wirksam werdenden Struktur, z.B. der DÜsseldorfer "Ring Club" oder "Botschaft e.V." (Berlin). Der Ring-Club organisierte letztes Jahr "Makro-Ville": der Bau einer Stadt in Modellgrässe, auf einem 10x10m grossen Tisch. HÜgel, Fluss, Ebene, Strand - "die Landschaft entspricht unserem Bild einer gut zu bebaÜnden Landschaft". Geplant war nicht eine utopische Stadt, die auf Verbesserung und ErneÜrung abzielt, sondern eine 'Ausstellung'. Wie im richtigen Leben, aber als Spiel, entschied der 'Stadtrat' Über GmeinnÜtzigkeit und verkaufte die BaÜrlaubnis (Massstab 1:1000, qm- Preis 5-20 Pfennig). Prinzipiell war jeder zugelassen. ber 100 beteiligten sich. Die Kaufnotwendigkeit war Voraussetzung, das Projekt ohne fremde Spon- sorenhilfen durchzufÜhren. Gleichzeitig hat es aber auch die Grund- struktur festgelegt: Privateigentum. DarÜber, nicht Über die Üblichen Ausstellungsort-Konflikte, regelten sich Nachbarschaften - und ersetzte sich auch jede ErklÄrungsnotwendigkeit. Bezahlt = gebaut, z.B. mehrere Kirchen (!), ein Brunnen aus Suppentellern, ein FraÜngefÄngnis (!), ein Sumpf, ein Schiff, 4 SozialwohnungstÜrme, Hotelhochbauten, etc. - DÜsseldorf-typisch wurden Auseinandersetzungen mit gesellschaftspolitischem Alltag skulptural und einzelwerk-orientiert umgangen. Herausfielen da etwas die 'Spenden' der Sammlung Brinkmann: 1000 MÜllsÄcke, 400 äffentliche Steckdosen, 7 Barrikaden, 27 Rollstuhlrampen, 28 Froschleichtunnel - und 1000 Polizisten. Wie sehr auch die Umsetzung, fern von urbanistischen oder politischen Überlegungen, zu kritisieren ist, wichtig bleibt, dass am Rand des Modelltisches eine reale Gemeinschaft Über Beteiligung entstand.
Trotz zunehmender Teilnehmerzahl entstand keine Verengung der Mäglichkeiten, keine vernichtenden Diskrepanzen, sondern das Gegenteil: steigende soziale VerstÄndigung (erleichtert durch die kapitalistische Grundstruktur?). Die Stadtwirklichkeit von Makro-Ville ist auf der Tischplatte harmlostestes Kunstobjekt gewesen; entscheidend waren die sich daraus und darum ergebenden Sozialstrukturen und GesprÄche zum Projekt. In diesem Jahr wird der Ring Club die Friesen-RÄume-Idee weiterfÜhren und internationale Gruppierungen zur "Internationale Fachmesse" einladen. Derartige kÜnstlerische Arbeit zieht die Notwendigkeit eines Nachden- kens Über Dokumentationsweisen (z.B.: fÜr welche OEffentlichkeit?) mit sich - im Sinne von ReprÄsentation, aber auch, wie Überhaupt noch mit Dokumentationen zu arbeiten ist. Die Berliner 'Botschaft' stellte diese Fragen anhand mehrerer Projekte letztes Jahr aus. Was ich immer wieder als verÄnderte Produktionspraxis angesprochen habe, ist daran zu konkretisieren, denn 'ausstellen' bedeutet mehr als nur das Zur-VerfÜgung-Stellen von Wand- und BodenflÄche fÜr Kunstwerkproduktionen.
In den Räumen der Botschaft ("Friseur", wo eine Bar und ein kleines 'Kino' integriert sind) fand z.B. 1992 das Seminar plus Rahmenprogramm "Fishing for Documents" statt. Eingeladen waren mehrere Dokumentarfilmer (Shelly Silver, Juliet Bashore, Harry Rag u.a.), anhand deren Arbeit der Begriff bzw. die Wertigkeit des "Dokumentarischen" ÜberprÜft wurde. In dem spÄteren Projekt "Museum fÜr Geschichte" wurde 'Dokumentarisches' in einen Geschichtszu- sammenhang gestellt. Die 6 (aufeinanderfolgenden) Ausstellungen, z.B. die Geschichte der Science Fiction in Russland (???), sind in einem Katalog 'dokumentiert' - der als Botschaft-Beitrag der Geschichte der Ausstellung folgte. 'Botschaft e.V.' arbeitet in einer offenen Struktur, d.h. dass nicht nur die Gruppe Projekte initiiert, sondern oft 'GÄste' dort arbeiten. Die Gruppe selbst setzt sich aus Filmern, Gestaltern, einem Informatiker und KÜnstlern zusammen. Die Frage nach dem 'Dokumentarischen', verstanden als Aussage von Anderen, bestimmt also auf mehreren Ebenen die Produktionsstruktur. Auch als Frage nach den verwendeten 'Mitteln', z.B. im (anstehenden) Projekt "E-Smog" . 'Elektrosmog' bezeichnet durch elektromagnetische Strämungen (Bildschirme, Mobiltelefone etc.) auftretende Stärungen bei Menschen und Maschinen - ein immer brisanter werdendes Thema, da hier ein lange kaum beachtetes Ordnungssystem untersucht wird.
VI. Die anfangs ungenau angesprochenen 'alternativen Produktions- und Distributionsweisen' kännen jetzt zusammenfassend konkretisiert werden: Angegangen wird keine tabula rasa-Situation, keine an den Dogmatismus der 70er Jahre anschliessende UmwÄlzung in ideologisch sauberem Feld. Statt Konsensorientiertheit tritt eine Dissens- Struktur. Über das Öffnen von HandlungsrÄumen werden Gebietsgrenzen Überschritten - die handlungswirksamen Charakter haben, als Gesten auftreten. Diese ÜbergÄnge' sind dann vielleicht auch der gesamte Raum, in dem agiert werden kann, denn Peterman kann das Recyclen nicht Überall einfÜhren, die Welt nicht verbessern, Siekmann den Diskurs Über DenkmÄler, Über Kunst und Gesellschaft, nicht Übernehmen, der Ring Club nicht die Separierung der Kunst aus dem Alltag aufheben usw. 'Alternativ', d.h. vor allem selbstbestimmt und handlungsfÄhig, d.h. auf der Kommunikationsebene nicht ein Herstellen der VerstÄndigung, sondern die Arbeit an den Bedingungen dafÜr. Wenn statt des Konsens- Modells eine Ausrichtung auf Dissens erfolgt, wird sich auf DaÜr auch eine VerÄnderung des kollektiv Geltenden (was bei der Frage nach Kunsthaftigkeit z.B. immer reinspielt, bis hin zum Vorwurf von Dilettantismus) einstellen. Bei dem zu beobachtenden VerstÄndigungsloch - vor allem bei Kunstinstitutionen und beim Gang durch Zulassungs-Behörden - wird dann eine Form von 'koordiniertem Dissens' im Hinblick auf die projektierten sozialen und kÜnstlerischen Handlungen nätig: vor allem eine prinzipielle VerstÄndigung Über die Differenzen. Und ist fÜr diese verÄnderte kÜnstlerische Praxis dann das Label 'soziale Praxis' tatsÄchlich zutreffend? Kunstforum, 1/1973 Büro Berlin wurde 1978 von 7 Künstlern gegrndet; die letzte groÄ, von Bro Berlin organisierte Ausstellung - "Emotope" - fand 1985 statt. Wolfgang Siano, Katalog Büro Berlin, 1986
SELEKTION partizipierte an solchen Gemeinschaftsarbeiten anfangs unter "P16/D4", seit 1985 unter "LLL und "S.B.O.T.H.I.". u.a. arbeiten mit: Joachim Pense, Achim Wollscheid, Gilla Lörcher, Charly Steiger, Markus Caspers, Horst Maus; die Berufe reichen von Mathematiker ber Jurist, Graphiker bis zu Künstler.
Unter dem Namen "SLP" z.B. fanden mehrere Gemeinschaftsprojekte der verschiedenen Sektionen statt.
Symposium "Bildwelten Weltbilder" im Februar 1993, in der Musikhochschule Hamburg
"Intermedire Sprache", 24., 25.4.1993, Frankfurt kuratiert von Harald Fricke im Rahmen von Botschaft unter Leitung von Pit Schulz, wo z.B. ein Metereologe mitarbeit.
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