Thing Frankfurt Blog / Archiv
Welche Linke? - Text von Wolfgang Eßbach
17. 2. 1994
[aus dem Thing Düsseldorf Textarchiv]
Wolfgang Eßbach
Welche Linke?
Bemerkungen zur Aufnahme des "Aufrufs zur Wachsamkeit" in der BRD
Unter den Aufnahmen, die der von vierzig überwiegend französischen Intellektuellen am 13. Juni 1993 in "Le Monde" publizierte "Aufruf zur Wachsamkeit" hierzulande gefunden hat, ist der Beitrag von Walter van Rossum in "Die Tageszeitung" vom 13. August 1993 derjenige, an dem sich Symptomatisches zeigen läßt.
Die vierzig Intellektuellen haben sich verpflichtet, "jede Zusammenarbeit mit Zeitschriften oder Sammelwerken, die Mitwirkung an Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie die Teilnahme an Kolloquien abzulehnen, die von Personen geleitet werden, deren Verbindungen mit der extremen Rechten sich bestätigen sollten." Sie haben ein Komitee gegründet, das Informationen über Verbindungen der extremen Rechten in Verlagen, Presse und Hochschulen sammeln und aufdecken will, um möglicherweise Ahnungslose mißtrauisch zu machen.
Abgesehen von der komplexen innerfranzösischen Rolle des Aufrufs zielt er auf eine europäische Dimension. Es geht um einen Anstoß für die Re-Definition des im Argen liegenden Unterschieds von "Rechts" und "Links" in Europa. Irgendwann mußte der Anstoß kommen. Keine der europäischen Gesellschaften politischen Charakters kann über längere Zeit auf die Rechts-Links-Symbolik verzichten. Wir stehen nun einmal unter Wiederholungszwang. Zum bekannten Drehbuch gehört, daß die Seite, die anfängt, eine Rechte zu definieren, sich dadurch als Linke auszeichnet. Sie beginnt nicht positiv, sondern durch Vermessung und Identifizierung des Gegners. Die Inhalte gehören zum zweiten Akt. So steht im "Aufruf zur Wachsamkeit" nur wenig Inhaltliches. Er erhält sein Gewicht durch das Renommé der Unterzeichner.
"Links blinken, rechtrs abbiegen?" hat Walter van Rossum, der von sich glaubt, "links" zu sein, seine Stellungnahme in der TAZ überschrieben. Er hat ein symptomatisches Problem: Er möchte ein Mitglied des Komitees für Wachsamkeit beim Komitee denunzieren. Er begrüßt den Aufruf, aber findet, daß Jacques Derrida ihn nicht hätte unterzeichnen dürfen. Das Problem ist symptomatisch für eine Gruppe von Intellektuellen der BRD, die es seit 1968 versäumt haben, den bolschewistischen Habitus bei sich zu dekonstruieren. Walter van Rossums Beitrag macht Sinn, wenn man ihn als an eine imaginäre Parteizentrale bolschewistischen Typs geschrieben liest:
"Ich möchte keinesfalls suggerieren, Derrida sei ein verkappter Faschist. Er selbst würde für sich die surrealistisch-subversive Tradition beanspruchen. Seinen berühmten Aufsatz über 'Fines hominis' aus dem Jahre 1968 setzt er in unmittelbaren Bezug zu den Studentenunruhen. Das war kühn und propagandistisch sehr effektiv, das war auch sehr unverbindlich und vor allem durch nichts begründet. Vielleicht war es auch ein Versuch, jene Traditionen umzudesignen, mit denen er und andere ziemlich sorglos dialogisierten."
Solche Rede ist nun sehr leicht zu verstehen. Es handelt sich um gehobenen Stasi-Stil. In dürren Formularen lautet die Passage: 'Ich will nicht sagen, Genosse X sei verkappter Faschist (aber gesagt ist es schon), seine subjektive Tendenz ist eher surrealistisch (d.h. in der objektiven Tendenz möglicherweise reaktionär), 1968 hat er sich zwar eingereiht, aber sehr unverbindlich (keine Parteidisziplin zu erwarten) und vor allem durch nichts begründet (kein historisch-materialistischer Standpunkt). Der Verdacht besteht, er tarne sich, um sorglos verräterische Dialoge führen zu können (Achtung! Zersetzungsgefahr!).'
Bei Walter van Rossum fehlen auch die anderen bolschewistischen Reflexe nicht: "Was könnte rechte Theoretiker an Derrida oder Lyotard interessieren?" (Die Genossen haben Post aus dem Westen.) "Man kann nur beobachten, daß rechte Theoretiker Appetit auf Thesen und Stile entwickeln, die ihre Urheber gerne eher links ansiedeln möchten" (der Klassenfeind zeigt Interesse). Schließlich stößt Walter van Rossum auch noch der unheilbar verdrängte "kleinbürgerliche Individualismus" auf, der so manchen Genossen ins Lager gebracht hat.
Wie sind solche Positionen heute möglich? Ich denke, Walter van Rossum gehört zu denen, die keine rechte Freude daran haben können, daß der bolschewistische Alptraum, der die europäische Linke in diesem Jahrhundert verfolgt hat, vorbei ist. Er sehnt sich zurück nach den alten politischen Demarkationslinien. Bereits 1985 hat er ja den Gipfel des Verfalls der französischen intellektuellen Linken darin gesehen, daß sie ihre Hoffnungen auf die Solidarnocs in Polen setzten (Walter von Rossum, Triumph der Leere. Zum Konvertitentum der französischen Intellektuellen, Merkur 1985, S.276f.). Heute, nachdem man wissen kann, was die polnische dissidente Gewerkschaftsbewegung für eine segensreiche Rolle im historischen Prozeß gespielt hat, wäre wohl ein Wort der Revision fällig, wenn man über die politische Sensibilität der Intellektuellen in Frankreich räsonniert.
Hinzu kommt bei Walter von Rossum eine bemerkenswerte Leichtgläubigkeit. Er glaubt alles, was die Partei früher einmal über reaktionäre Autoren ggesagt hat. Neue Lektüren sollen nicht sein. Aus der Selbstverpflichtung der Vierzig, nichts in rechtsextremen Organen zu publizieren, wird bei van Rossum die Propaganda gegen die Lektüre von Nietzsche, Heidegger, Jünger, Schmitt. Neue Lektüren dieser Autoren werden als "heikle Dialoge" diffamiert, die man besser sein lassen soll.
Um nur einem Fall solcher Leichtgläubigkeit nachzugehen: Daß man zum Zwecke der Anschwärzung Derrida mit Ludwig Klages in Verbindung bringen kann, habe ich vor Jahren von Manfred Frank gehört. Walter van Rossum repetiert dies gutgläubig: "Den 'Logozentrismus', dem er (Derrida, d.V.) den Kampf ansagt, hat langge vor ihm der einschlägig bekannte Ludwig Klages kritisiert und im friedlichen Wettstreit mit den Nazis zu dezentrieren versucht." Ich bezweifle, daß Walter van Rossum sich je ernsthaft mit Klages befaßt hat, der alles andere als "einschlägig bekannt" ist. Was hier vorliegt, ist ein 'Appell an die Dummheit', der meilenweit von dem entfernt ist, was man Aufklärung nennt.
Da nach Lage der Dinge der hier besprochene Habitus schon rein seinsmäßig gegen Aufklärung immun ist und allenfalls nur durch eine Autorität aus dem eigenen Lager dazu gebracht werden kann, sich zu informieren, muß zur Beendigung des diffamatorisch kodierten Derrida-Klages-Vergleich zitiert werden, was Jürgen Habermas zum Tode von Ludwig Klages formulierte. Ohne falsche Pietät hat Habermas vom nicht zu bagatellisierenden, weit überzogenen gegenaufklärerischen Elan im Denken von Klages gesprochen, und dennoch hat Habermas Erich Rothacker zugestimmt, "daß Klages in seiner 'Ableitung' des raumzeitlich organisierten Bewußtseins nicht überwiegend psychologisch und erst recht nicht biologisch, sondern transzendental verfährt." Und Habermas hat hinzugefügt: "Klages entfaltet in diesem Zusammenhang eine Fülle von Wahrnehmungen, die nicht für immer hinter dem Schleier einer geistfeindlichen Physik und einer apokalyptischen Geschichtsphilosophie verborgen bleiben sollten; Wahrnehmungen, vor allem anthropologische und sprachphilosophische, die vielleicht unzeitgemäß sind, dann jedoch in Nietzsches Sinn: nicht überholt, sondern allererst einzuholen" (Jürgen Habermas, Ludwig Klages - überholt oder unzeitgemäß? Zum Tode des deutschen Philosophen, FAZ vom 3.8.1956). Wer sich mit der Sache befaßt hat, kann diesem Urteil zustimmen.
Walter von Rossum ist ein Symptom, und daß die TAZ diesen Beitrag bis jetzt als einzigen zum doch sehr wichtiggen 'Aufruf zur Wachsamkeit' publizierte, macht das Symptom ernsthafter. Der Anstoß aus Frankreich wird über kurz oder lang wirken. Eine Re-Definition der Linken über die Rechte steht ins Haus, wie immer auch die Mischung der politischen Symbolik mit anderen Symboliken aussehen wird. Denn was nun intelligent oder dumm, friedlich oder gewalttätig, langgweilig oder attraktiv sein wird - entweder die zukünftige Rechte oder die zukünftige Linke -, das ist eben nicht einschlägig bekannt.
Die Situation in Frankreich und Deutschland ist dabei verschieden. Der Anlaß, der den Appell der Vierzig in Frankreich ausgelöst hat: das national-bolschewistische Zweikomponentengift - ins Deutsche übersetzt eine Paarbildung Schönhuber/Modrow - ist in Deutschland in den Grenzen von 1990 eher unwahrscheinlich. Hierzulande wird es darum gehen, ob sich die allzu vielen van Rossums mit ihrer Jagd auf Abweichler, Dissidenten, falsche Bücherleser, mit dem unsäglich dummen und gemeinen Geist der Verfolgung auf der linken Seite durchsetzen oder nicht. Schließlich: Was das Publizieren in Organen der radikalen Rechten angeht, bin ich gern bereit, 54, boulevard Raspail, 75006 Paris mitzuteilen: trotz jahrzehntelanger sich linksliberal wähnender deutscher Genossenpropaganda, daß Poststrukturalismus, insbesondere aus Frankreich, kryptofaschistisch sei, daß, wer Heidegger, Jünger, Schmitt und Nietzsche lese, böse sei, daß Foucault den Terrorismus, Deleuze die Abartigkeit fördere, daß nur die fanatische deutsche Letztbegründung moralischer Normen uns gegen einen westlichen Sozialdarwinismus à la Lyotard rette, - trotz alledem hoffe ich, links länger auszuhalten als diejenigen meiner auch "links" beheimateten Brüder, die in diesem Land der Religionskriege sich verletzt und gedemütigt nach "Rechts" haben vertreiben lassen.