Thing Frankfurt Blog / Archiv
Nazis im Netz, um 1993
3. 8. 1993
[Text aus dem Textarchiv von Thing Düsseldorf]
Widerstand is being loaded
Zur elektronischen Mobilmachung des Neo-Nazismus
Unter den Bedingungen elektronischer Kommunikation bedarf es keiner Organisation, keiner Verlage, keiner Kuriere mehr, um Parolen in die Welt zu setzen, Pamphlete zu verbreiten oder konspiratives Material zu überbringen. Das besorgen die Modems japanischer und amerikanischer Hersteller, das garantieren die Paßwörter, die Übertragungsprotokolle und Verschlüsselungs-Algorithmen der Software-Häuser. Sobald sich die politische Aktion elektronisch koordiniert, kommen Geschwindigkeiten zum Tragen, die kaum kontrollierbar sind, Strukturen von Entscheidung und Organisation, die ebenso stabil wie flexibel sind. Man verabschiedet sich von hierarchischen Parteistrukturen, um sich in kleinen Gruppen zu verschwören, die elektronisch koordiniert und zum Tarif von Ortsgesprächen adressiert werden können. Aktionen wie den Aufmarsch der Neo-Nazis in Fulda oder die Totenbeschwörung des Nazi-Führers Rudolf Heß steuert die Logistik der neonazistischen Kader über Funktelefone, Modems und Mailboxen. Ganz anders, als es die liberale Rede von den "Ewig-Gestrigen" oder "Unbelehrbaren" suggeriert, bewegen sich die Brandstifter des Neorassismus technologisch längst auf der Höhe der Zeit.
Eine der vielen elektronischen Schaltstellen ist die neo-nazistischen Mailbox "Widerstand", die Anfang dieses Jahres in Erlangen installiert wurde. Sie stellt wohl den zentralen Knotenpunkt des sogenannten Thule-Netzes in Deutschland dar. Was Antisemiten wie Rudolf Heß, Gottfried Feder oder Alfred Rosenberg nach dem 1. Weltkrieg als "Thule-Gesellschaft" ins Leben riefen, um später in Freikorps den militärischen Kampf gegen Arbeiterbewegung und Republik zu führen, soll sich hier unter Bedingungen elektronischer Kommunikation wiederholen. "WIDERSTAND. Die Mailbox gegen Konformismus und Zeitgeist. Dies ist keine Mailbox wie jede andere! Sie wurde nicht aus Spaß eröffnet, sondern hat ganz bestimmte Aufgaben zu erfüllen:
1) Herstellung und Verfestigung der Kontakte zwischen nationalen Gruppen.
2) Entwicklung einer Datenbank mit Informationen für nationale Aktivisten. Insbesondere soll die Herstellung von national gesinnten Publikationen durch Bereitstellung von Artikel gefördert werden.
3) Minderung des Verfolgungsdruckes durch das System indem Kommunikationsmöglichkeiten bereitgestellt werden, die vom System nicht -- oder nur mit erheblichen technischen Aufwand -- ausgespäht werden können. Es gibt hervorragende Kodierverfahren, deren Dekodierung für Unbefugte praktisch nicht möglich ist."
FrontDoor
"Widerstand is being loaded" - so meldet sich zunächst die amerikanische Software "FrontDoor", sobald die telefonische Verbindung hergestellt ist. Als Fahne Schwarz-Weiß-Rot aber, mit kantiger Schrift und aufgeräumter Grafik präsentiert sich dann die Mailbox selbst, um den "Kameraden", der sich hier einwählt, mit der Parole zu begrüßen: "Europäische Intifada - Südtirol, Bretagne, Baskenland, Kroatien, Slowakei, Irland - Nationaler Befreiungskampf weltweit!" Zunächst ist gleichgültig, ob man Monarchist geblieben ist oder Anhänger jener militanten Neo-Faschisten wurde, aus denen sich auch die Organisatoren des Thule-Netzes rekrutieren. Freundlich wird jeder potentielle Bündnispartner begrüßt. Einzelne Koordinatoren fangen die von den Benutzern dezentral eingegebenen Nachrichten auf und versuchen die darin befindlichen Energien ideologisch zu bündeln. Gewiß, schon die "Republikaner" stehen einem Anhänger der FAP zu weit links. Doch wissen sich beide letztlich von sogenannten "linken Zecken" und frauenmordenden "Ficki-Ficki-Türken" bis auf's Blut bedroht. Wer sich in dieser Mailbox bewegt, durchläuft das elektronische Revival bald markiger, bald naß-forscher oder schwüler Männerfreundschaften und dunstiger SA-Lokale. Da clonen sich Lagerfeuerromantik und Blutsmythos auf dem Rücken amerikanischer Software, bündeln sich dumpfe Wut und Ressentiment zur kollektiven Paranoia.
Anti-Anti-Fa
Die Mailbox arbeitet, wie auch die neonazistische Sammelbewegung der "Anti-Anti-Fa", an der rechtsextremen Einheitsfront, mit der die noch vorherrschende Situation der Zersplitterung überwunden werden soll. Die Konzeption zur "Anti-Anti-Fa" entstand aus der Trennung alten FAP, die neben einem ideologischen Streit um die Homosexualität Michael Kühnens, auf konkurierende trategien innerhalb der Partei zurückzuführen war. Um Kühnens Gegenspieler Busse formiert sich eine strenge, vorgeblich heterosexelle Partei-Disziplin nach dem Modell der SS - während Kühnen auf offene, an Netzwerken orientierte Verbänden setzte, eher im "Geist der SA" seine Politik vorantrieb. Dies wird nun auch im "Thule-Netz" mit maximaler Breitenwirkung fortgesetzt. Das Netz als kollektiver Organisator und Propagandist, eine Art elektronisches Zentralorgan, das täglich neu erscheint: wer Material sucht, um die Psychogramme jener Banden zu rekonstruieren, die heute in Deutschland Häuser und Menschen anzünden, ist hier an der richtigen Adresse.
Einer berichtet von Kontakten mit rechtsradikalen Akademikern, von denen er lernte: "Es muß der Wille zum Zusammenrücken befördert werden und irgendwie ein fast religiöses Gefühl des Zusammengehörens bei allen Unterschieden in Lehre, Bildung, Alter, Reichtum, Geschlecht entstehen. Erst dann werden wir erfolgreich sein."
All dies gehört zum bekannten Psychogramm einer Mordlust, die ihre Kirche sucht und finden wird. Der Faschist, der hier schreibt, sieht sich jedenfalls von allen Seiten bedroht, und deshalb wird ihm das religiöse Gefühl des Zusammengehörens zur Existenzfrage. Seine "Heimat" ist ihm tiefstes Feindesland, eine Welt der Entfremdung und des Ekels. Ferngesteuerte Banken, gekaufte Arbeitgeber und eingeschleuste Erpresser ziehen ihm noch das letzte Hemd aus. Die Sonnenwend-Feier wird zum Wagnis auf Leben und Tod; selbst der Stammtisch birgt äußerste Gefahr, gleich im Bündel hops genommen zu werden. Als hätte die letzte Schar aufrechter Deutscher keinen "Platz an der Sonne verdient", wie einer verzweifelt in den Rechner trommelt, hetzt man sie über die eifrig widersprechende Erde. Der Verfassungsschutz, das bös gewordene Vater-Land schlechthin, lockt sie in Fangschaltungen. An jeder Straßeneckecke tauchen die horchelnden "U-Boote" aus den feindlichen Fluten. Elektronisch wird darüber verkehrt, ob es 15jährige "U-Boote" geben könne: Schleust der Feind womöglich schon seine Kinder ein, um die Wiking-Jugend zu unterwandern? Besonders der "pädophile Kamerad" könne leicht das "Opfer feindlicher Erpressungen" werden: Drum achte drauf, Kamerad, an welchen Jungs du spielst. Jedem deutschen Abenteurer soll es an die Leder-Büchs gehen: das infame Bündnis aus "Ami-Schergen" und "linken Zecken" nimmt ihm das letzte. Doch der Tag der Abrechnung wird kommen und wird in farbenprächtigen Mordphantasien ausgemalt: "Gerade in einer Zeit zunehmender Gefährdungen durch Umweltgifte und Unfälle erscheint mir die Entnahme von Körperorganen bei Kapitalverbrechern sehr überlegenswert. Auf diese Weise hätte der Mann, der vielleicht fünf kleine Mädchen mißbraucht und getötet hat, die Möglichkeit, durch die Spende seiner Nieren, seines Herzens oder seiner Hornhaut, viel Lebensqualität zurückzugeben." Solche Metzger-Phantasien einer unbestreibar deutschen Frau oder auch der erregte Schrei nach dem Karabiner werden allerdings umgehend wieder in die "nicht-öffentlichen Arbeitsgruppen" verwiesen. Disziplin müsse sein, der Feind warte doch nur auf solche Beweise, und die Kameradin möge den lang-leuchtenden Pfad zum Endsieg im Auge behalten.
RAF statt Rudi
Auch wenn der Zauber des Kampfes manchen "Kameraden" Respekt sogar vor der feindlichsten Zecke abnötigt:
"Zu der RAF möchte ich sagen, daß ich sie nie als Bedrohung emfunden habe. Immerhin haben sie nur den 'Geldsäcken' und den Politikern 'in den Arsch getreten' und waren stets bemüht, keine Unbeteilligten zu gefährden wie jüngst bei der Gefängnis-Sprengung in Weiterstadt. Zu den RAF-Leuten der ersten Generation: Baader, Mainhof, Enslin habe ich sogar eine gewisse Sympathie. Diese Leute waren Idealisten, die mit allen Mitteln das bestehende System bekämpften. Auch wenn sie von einer falschen Ideologie gelenkt wurden, ist so ein Einsatz für die Überzeugung sicherlich nicht oft zu finden." Diese toten, dabei immer noch irgendwie deutschen Kämpfer seien ein sicherer "Stachel im Fleisch der Bonner Bonzen" als es Rudolph Heß jemals habe sein können. Stammheim letztlich eine effektivere "Wunde" als Spandau, in der auch dieser faschistische "Arbeitskreis" bohren möchte: kann man sich bei Heß doch bis heute nicht sicher sein, ob nicht irgentwann doch noch, die entlarvende Akte aus England kommt.
Unablässig melden sich Strategen zu Wort, Regisseure und Moderatoren, die den Mob mit der kühlen Distanz von Schreibtischtätern steuern: "Die politische Tat ist nur dann sinnvoll, wenn sie Signal ist für nachfolgende Taten. So muß die erste Überlegung des politischen Täters sein, ob Nachfolgetaten zu erwarten sind. Nicht zuletzt deshalb bedarf es einer intensiven, generalstabsmäßigen Vorbereitung einer Tat, die abklärt: Was tun? Wer soll es tun? Mit welchem Ziel soll es getan werden? Welche Reaktion ist bei den Freunden zu erwarten? Welche bei den Feinden? Welche bei den Unentschlossenen? Eine isolierte Tat erreicht nichts oder das Gegenteil. Um das zu vermeiden, ist es notwendig, die Praxis stärker als bisher zu theoretisieren und die Theorie praxisnäher zu machen."
Die politischen Aufsätze im Thule-Brett "Neues Denken" definieren sich deshalb scharf an den "strategischen Mängeln" der fremdenfeindlichen Pogrome der letzten eineinhalb Jahre. Ziel soll es sein, die "Anschläge" durch die ideologische Aufrüstung des Volkssturms politisch zu dramatisieren und so ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Die "Elite der Wissenden" habe sich an den "Kreis der Interessierten" zu wenden; die Attentäter sollen vor Fernsehkameras und im Polizeiverhör nicht mehr wild drauflosplappern, sondern politisch argumentieren können: das mangelnde Rückgrat der Täter von Rostock, Mölln oder Solingen hätte der Bewegung eher geschadet.
Hier mischt sich eine Intelligenz ein, die mit dem Geschick des Einheitsfront-Politikers die Lust am Pogrom zu strukturieren sucht. Deshalb wäre es verfehlt, die Mailbox und das Thule-Netz, das mit ihr gesponnen wird, bloß als manifest gewordene Paranoia abzutun. Mitteilungen, Berichte und Kommentare aus dem Ausland werden da präsentiert. Eine breit gefächerte Zeitschriften-Umschau wird von den Organisatoren der Mailbox auf dem neuesten Stand gehalten. Sie rezensiert Neuerscheinungen von der NPD bis zur Nationalen Liste, von der FAP bis zu den Republikanern, verteilt kundig Lob und Tadel und vermittelt Rückblicke auf die ideologische Entwicklung verschiedener Publikationsorgane.
Eine Datenbank kann aufgerufen werden, deren Struktur sich wie ein Tableau des heutigen Neo-Nazismus liest; zwei Stichworte zum Beispiel: "Anthropologie - insbesondere angewandte Anthropologie in Form praktizierter Menschenmanipulation durch Genetik, Erziehung, Medien, (...). Politisches Wesen der vorgeblich humanitären Freimauererei. Menschenmanipulation durch Rassenvermischung, Kulturzerstörung Kontrolle/Erfassung/Bürokratie -- Technologie,
Bekämpfung organisch gewachsener Strukturen und Traditionen,
Jüdisches Herkommen, Wesen und Ziel der Freimaurerei".
Der Hauptfeind
Interne Organisation, Beispiele "praktischen Vorgehens": Internationale Anschlüsse werden hergestellt, Impulse aus dem Ausland aufgegriffen: So wird, wie in der französischen Zeitschrift "L'Idiot International" bereits vorgezeichnet, vor allem auch die gemeinsame Front mit dem "patriotischen Potential" des alten Kommunismus gesucht. Zu ehemaligen SED-Anhängern bestünden schon erste Kontakte. Denn, so weiß man, seitdem man de Benoist gelesen hat: "Mit dem 'American way of life' ist der Hauptfeind erkannt. Dies wird oftmals auf der ideologischen Gegenseite genauso gesehen. Trotzdem steht zwischen beiden Blöcken der Begriff der Nation. Eine Annäherung ist dabei an orthodoxe Kommunisten möglich, welche sozialistischen Patriotismus mit proletarischem Internationalismus vereinbaren können." Immer wieder durchziehen solche aus den Schriften des Bündistechnikers Alain de Benoists genährte Strategien das Thule-Netz. "Was gestern in Paris war, muß heute in ganz Deutschland und morgen in ganz Europa geschehen."
Nicht zufällig lesen sich viele der Texte gegen den US-Imperialismus in Somalia, Irak, Jugoslawien ganz wie Schriftsätze der sogenannten "Linken". Da hat selbst "der Führer" so manchen Fehler an der `nationalen Sache" begangen. So soll sein größtes Vergehen gewesen sein, die Weihe des "anti-kolonialen Kampfes" verlassen zu haben und sich der "Verführung" hinzugeben, selbst "Kolonialherr" zu werden. Immer wieder werden mangelhafte Ausbildung und soziale Verelendung in den USA gebrandmarkt, wird gegen den Kolonialismus der sogenannten "neuen Weltordnung" Front gemacht und auf allen Ebenen Selbstbestimmung gegen die Mächte der Entfremdung verlangt. Es ist, als hätte die äußerste Rechte sämtliche Ideologeme, aber auch alle Techniken einer revolutionären Linken zu herabgesetzten Preisen erstanden - just in einem Augenblick, in dem sich diese Linke verabschiedet hat. "Allein die Wahrheit ist revolutionär, niemand hat Eigentum an der Revolution", heißt diese Technik kurz und gut zitierbar bei de Benoist. Begriffe aus Franz Fanons "Verdammte dieser Erde" finden sich hier ebenso wieder wie Strukturen aus den kriegstheoretischen Schriften Mao Tse-Tungs oder Ho Tschi Minhs, die für den Stadtteil adaptiert werden und sich lesen wie Texte aus den Anweisungen zur Boschewisierung der KPD in den 20er Jahren: "Wir betrachten die befreiten Zonen aus MILITANTER Sicht, also aus der Sicht des politischen Aktivisten. Es geht keinesfalls darum, eigenständige staatliche Gebilde oder ähnlichen Unsinn ins Leben zu rufen. Nein, befreite Zonen bedeutet für uns zweierlei. Einmal ist es die Etablierung einer GEGENMACHT. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen WIR faktisch die Macht ausüben, in denen WIR sanktionsfähig sind, d.h. WIR bestrafen Abweichler und Feinde, WIR unterstützen Kampfgefährtinnen und -gefährten, WIR helfen unterdrückten, ausgegrenzten und verfolgten Mitbürgern. (...) Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen."
Gegen-Öffentlichkeit
Nicht zuletzt also, was die Alternativbewegung vorbereitete, soll hier aufgehen. Ein Netz aus Läden, Werkstätten, Druckereien und Schulungen - alles, was sich vor Jahren in Latzhosen feierte, als es auch schon darum ging, "organisch gewachsene" Stadtteile zu erhalten, wiederholt sich im Zeichen neo-nazistischer Trugbilder. Der anti-urbane Affekt der "Alternativen" findet hier zu sich, die narzißtischen Angstphantasien um ihre körperliche Ganzheit Besorgter, unausgesetzt Vergewaltigter formieren sich zur Entschlossenheit völkischer Tat: "Befreite Zonen in unserem Sinn sind Bereiche, wo der zentrale Widerspruch unserer Zeit, nämlich der Widerspruch Identität/Entfremdung zugunsten der Identität aufgelöst wird. Es sind Orte der Geborgenheit, des Dazugehörens, der Wärme, der Solidarität. Sie sind Heimat für die Heimatlosen. Befreite Zonen sind sowohl Aufmarsch- als auch Rückzugsgebiete für die Nationalisten Deutschlands." Die Kameraden sollen deshalb gezielt in ausgewählte Straßenzüge oder Stadtteile ziehen, um Ballungszentren zu schaffen, die sich in das soziale Leben einbinden. Der Oma von nebenan soll der Einkauf nach Haus getragen, der Nachbarfamilie das Auto repariert werden. Kleinbetriebe, die als vorbildlich und preisgünstig gelten. Freundschaftlich verbundene "Blockhäuser" sollen so entstehen - denn sei erst einmal die Sympathie der Nachbarschaft gewonnen, könne auch mit der Agitation begonnen werden.
"Befreite Zonen" sind aber nicht nur auf dem Stadtplan zu finden. Sie stellen sich nicht zuletzt auf elektronischem Wege her, wie ein Beispiel belegt: "In Leipzig wollen Aktivisten der NATIONALREVOLUTIONÄREN POSITION ein fetziges, witziges und qualitativ hochstehendes Flugblatt machen. Statt zu verzweifeln, weil man nicht einmal eine vernünftige Schreibmaschine hat usw., wendet man sich an ein dem Netzwerk angeschlossenes Text- und Graphikbüro. Dort ruft man an bzw. faxt hin, was man will. Und schon hat man das druckfertige Exemplar - falls man faxen kann ist das eine Sache von STUNDEN, nicht von Wochen oder gar Monaten. Drucken wird man es dann über die dem Netzwerk angeschlossene Druckerei. Dann schickt man das Flugi an andere Regionale Aktionsgruppen - und siehe da, es gefällt auch den Leuten in Berlin und in Oberbayern. DAS ist Vernetzung, das ist eine BEFREITE ZONE, denn die Produktion dieses Flugblattes kann durch nichts und niemanden aufgehalten werden."
Nicht zuletzt in andere elektronische Netze schalten sich die "Thule"-Autoren ein, etwa in das internationale "FIDO-Netz", in dem auch politische Diskussionen stattfinden. Da wird dann beispielsweise eine lange Message kopiert, in der sich ein gewisser Bodo über die Zigeuner im Hamburger Karolinenviertel beschwert, und ins "Thule-Netz" eingespeist, nicht ohne zu melden: "Habe Bodo in einer Privatmail empfohlen sich doch mal in die "Widerstand" einzuloggen. Mal eine Frage an LOKI. Ist es in Hamburg wirklich so schlimm? Gruss u. Frohe Ostern Elias".
Symptomatisch für diese Paranoia, daß es häufig jüdische Namen sind, hinter denen man sich versteckt, oder Amerikanismen aus Comics und Hollywoodfilmen. So schreiben Alias-Namen wie "Warlord", "Starliner" und der "Rocker der Box" für die deutsche Sache. Regelmäßig wird beim System-Operator angefragt, ob die Daten aus der Benutzer-Registration auch immer noch sicher verwahrt seien. So geht den Verwurzelung-Suchenden auch noch der Eigenname auf der Flucht vor dem Pepsi trinkenden Mielke-Nachwuchs verloren. Das Leben ist hart, aber man findet Trost im Netz.
An der Oberfläche fungiert das "Thule-Netz" als Propaganda-Instrument - rein kommt erst mal jeder. In die tieferen Gewölbe des "Thule"-Rechners darf, wer Daten zur Person angibt, 5 Mark im Monat entrichtet und der "Anti-Anti-Fa" nicht als "Zecke" bekannt ist. Später kommt noch die Gesinnungsüberprüfung am national gesinnten "Hacker-Stammtisch"; wer besteht, darf mit geheimbündeln.
Mein Freund, der Baum
Gleich unter dem Brett "Ziel und Zweck" des Netzes ist das verschwörerische Versprechen zu lesen, wie unaufwendig sich mit dieser Technologie auch ein Stück "pretty good privacy" produzieren läßt. Es bedarf nicht mehr nächtlicher Treffen im Birkenhain oder der verbalen Larve, allein das Wissen des Paßworts zählt. Die komplette Geheimbund-Logistik flottiert an allen Fronten auf Disketten in allen Formaten oder durch Modems mit allen Übertragungsgeschwindigkeiten. Was der Sache natürlich etwas von ihrem Charme nimmt, aber genau für diesen kämpft man. Um endlich wieder im klaren Schein der Fackel, ohne ASCII-Code und Daten-Infiltration über befreite deutsche Erde zu ziehen und mit offenen Ohren den Stimmen der Bäume lauschen zu können. "Ich habe in das Christen-Brett die Offenbarung der Johannes eingespielt... Gerade in der Beschreibung des "Weltuntergangs", des "letzten Gefechtes" oder des "jüngsten Gerichtes" kommen einige Beschreibungen vor, die in jüngster Zeit wieder aktuell geworden sind. Etwa die Sonne, die die Erde mit ihren Strahlen verbrennt, das Ozonloch oder die Wiederkehr des Satans nach 1000 und nach 2000 Jahren. Also noch 7 Jahre". Die Heilung von Mutter-Natur, die Wiederkehr des ökologischen Gleichgewichts, muß leider Gottes mit IBM erkämpft werden.
Quasi-religiöse Energie und rigide Organisationsstruktur zeichneten das nazistische Programm schon immer. Die High-Tech-Faschisten von heute setzen außerdem auf Technik, auf jenes verwirrende Ineinander äußerster Konspiration und äußerster Präsenz, die im Zeitalter der Verschlüsselungs-Algorithmen und Personal-Computer alle traditionellen Logiken des Politischen unterläuft.