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Ist Computerkunst (schon) museumsreif? 14.3.1994

14. 3. 1994

Benedikt Stampa
Der Schein trügt -
Ist Computerkunst (schon) Museumsreif?

TrŸgt der Schein oder gaukelt uns das digitale Bild aus dem Computer, die interaktive Installation oder die Videoanimation nur vor, Kunst zu sein? Viel ist zu hšren, von diesem strengen Verdikt. Das computergenerierte Bild als Abziehbild der Kunst. Plagiate, bestenfalls postmoderne Imitate ohne thematisch-€sthetische Brisanz, Trugbilder ohne €sthetische Folgen. Kunst als digitaler Schein also!? Und dann die Zahl der Erzeugnisse. Aus jedem Computer quillt tausendfach das Bild. Beliebig Ÿberall und nirgendwo. Nur kurz ein Graphikprogramm installiert. Die stŠndige VerfŸgbarkeit, die dauernde PrŠsenz des Digitalen, schafft eine unertrŠglich NŠhe des doch so unendlich Fernen.
Hinzu kommt, die Perfektion der Hardware wird stilisiert zur Bedingung fŸr und zum Ma§stab der Qualit€t von Computerkunst. Immer schneller, immer weiter, immer flacher.Es scheint so, da§ die "thematische (tm)de (...) gerade zum technischen Perfektionismus" (Nake) zwingt, zur Virtuosit€t im Umgang mit der Hard- und vorgestanzten Software, zur Kunst der OberflŠche.
Wenn dem so ist, kšnnen wir an dieser Stelle unsere †berlegungen einstellen, unsere Aktivit€ten beenden. Dann gehšrt die Computerkunst nicht ins Museum und auch nicht als Thema ins Feuilleton und schon gar nicht in die Kunstzeitschrift. Und wenn man ehrlich ist, von ihr ist dort auch noch nicht viel zu sehen. Die etablierte Kunst(kritik) nimmt kaum Notiz, das Feuilleton schweigt sich nahezu aus. Also bleibt alles wie es ist. Der Kunstfall tritt nicht ein. Aber der Schein trŸgt. Die Ansichten, die in vielen Kšpfen nahezu betoniert scheinen, basieren auf, man kann vielleicht sagen, "historischen" Denkmustern, die um einiges zu kurz greifen. Zwei besonders hartknŠckige und fŸr die Diskussion nicht gerade hilfreiche Meinungen seien kurz genannt So geistert erstens noch immer der User als Verwerter und Konsument von Graphikprogrammen umher, fŸr den der Computer automatisch Bilder von bestechender Leere und gelackter ...dnis ausdruckt oder man zeigt auf den Physiker als HobbykŸnstler, fŸr den ein HochglanzapfelmŠnnchen bereits gerahmt gehšrt. Da§ sich hingegen immer mehr bildene KŸnstler mit ganz anderen AnsprŸchen und Voraussetzungen dem Medium Computer zuwenden, wird erst spršde zur Kenntnis genommen. Weit schwerwiegender ist jedoch zweitens das nicht selten sogar wohlwollend gebrauchte Argument vom Computer als einem "Tool", einem Werkzeug, welches vom KŸnstler wie Pinsel, Mei§el oder Spachtel eingesetzt wird. Dieses Denkmuster stellt den ComputerkŸnstler und sein Werk ohne Bruch in die Tradition der klassischen bildenen Kunst, denn es reduziert die Wirkungsmšglichkeit des Computers auf die fŸr eine ernsthafte Diskussion Ÿber Computerkunst všllig unrelevante, weil eindimensionale Funktion eines elektronischen Handlangers. Dieser hŠufig anzutreffenden FehleinschŠtzung ist es zu danken, da§ die Computerkunst, da sie durch diese Reduzierung gewisserma§en kompatibel zur klassischen bildenen Kunst gemacht worden ist, denselben Šsthetischen Bewertungsma§stŠben unterliegt wie zum Beispiel Gem€lde des 19. Jahrhunderts. Ein "digital painting" des Berliner KŸnstlers Arthur Schmidt allerdings hat mit herkšmmlicher Malerei wenig bis gar nichts mehr zu tun. Seine Bilder den hierfŸr geltenden Šsthetischen Kriterien zu unterwerfen, verfehlt genauso das Ziel, wie zum Beispiel der Versuch zu Beginn des Jahrhunderts, den Werken Marcel Duchamps mit dem romantischen Werkbegriff beizukommen. Wer als KŸnstler mit dem Computer umgeht, begibt sich in einen všllig neuen Šsthetischen Kontext, er nimmt letztendlich einen gŠnzlich andere Blickwinkel der Weltbetrachtung ein. Villem Flusser bringt diesen neuen Sachverhalt in seinem Aufsatz Ÿber den "digitalen Schein" pointiert zum Ausdruck. Er schreibt:"Die alternativen Welten, die aus dem Computer zu entstehen beginnen, sind Ausdruck einer Bewu§tseinsebene, an der die meisten nicht teilnehmen kšnnen (...) und auch nicht teilnhemen wollen." Flusser nennt diese Bewu§tseinsebene eine "kalkulatorische", die nicht mehr auf linear-prozessualen, oder wie er es auch nennt "literarischen" Denkkategorien basiert, sondern auf formalen, analytischen bzw "numerischen". Der Computer nun ist einerseits Ergebnis dieses numerischen Denkens (er macht Natur "berechenbar"), andererseits aber auch Ausgangspunkt und Voraussetzung fŸr das Erzeugen neuer, "komputierter" von Flusser so genannten "synthetischen" Gestalten, die im Kern nichts anderes darstellen als "alternative" Ergebnisse gegebener Daten. "Computer kšnnen alternative Welten synthetisieren" (Flusser). Diese Feststellung mŸndet schlie§lich in der erkenntnistheoretischen Frage, "ob nicht Ÿberhaupt alles, einschlie§lich uns selbst, als digitaler Schein verstanden werden mu§".
Wenn alles trŸgt, alles ein digitaler Schein ist, so Flusser, dann ist dieses Wort "Schein" bedeutungslos geworden. Dann schl€gt der Schein um in eine neue Bemessung der Reali€t. Je dichter die Streuung einzelner "Punktelemente" oder "Bits" ist, desto realer wird der Gegenstand. "Das ist das digitale Weltbild, wie es uns von (...) den Computern vor Augen gefŸhrt wird. Damit haben wir von jetzt an zu leben, auch wenn es uns nicht in den Kram passen sollte."
Vor dem Hintergrund dieses Weltbildes beginnt der KŸnstler, seine Claims abzustecken, die weit jenseits der €sthetisch gesicherten, aber vielleicht bereits veršdenen Felder der anderen liegen. Die Computerkunst steht hier erst am Anfang, langsam, ganz allm€hlich bilden sich Ans€tze einer eigenen ?sthetik heraus, sei es in der interaktiven Kunst oder in der kŸnstlerischen Nutzung der Virtual Reality. Andere Formen sind denkbar, der Bereich des Experimentellen ist gerade erst beschritten.
Nie aber sollte man die €sthetische und kŸnstlerische Kraft dieser neuen Richtung der Kunst untersch€tzen. Ein in Kšln ans€ssiger, renommierter Galerist urteilte Ÿber die Computerkunst, da§ er mit ihr zwar noch nicht viel anfangen kšnne, er sich aber sicher sei, wenn der Begriff der Avantgarde irgendwann wieder Bedeutung und Berechtigung erlangt, dieser auf die Computerkunst Anwendung finden wird.
Ist die Computerkunst also (schon) museumsreif? Kann die Computerkunst einer ernsthaft gefŸhrten €sthetischen Diskussion standhalten und sollte sie dieser ausgesetzt werden? Beantwortet kann die Frage nur mit einem mutigen "Ja" und einem zaghaften, pragmatisch bedingtem "Nein".
Nein: Noch ist die Computerkunst nicht so durchgesetzt, da§ das Publikum ihretwegen in Scharen in die gro§en Museen fŸr zeitgenšssische Kunst gelockt wird. Hinzu kommt, diese Museen haben noch keine Ausstellungskonzepte und Finanzierungsmodelle entwickelt, um die Arbeiten entsprechend pr€sentieren zu kšnnen. Die Installationen aufwendiger interaktiver Arbeiten incl. Hardwareausleihe (an Kauf ist erst gar nicht zu denken) kostet fŸnfstellige Betr€ge, Versicherung etc gar nicht mitgerechnet.
DarŸberhinaus stellt sich im Falle eines Ankaufes einer Installation die Frage nach dem finanziellen Umfang. GenŸgt es, die Diskette zu erwerben incl. der jeweils individuell angefertigten Hardware oder gehšrt zum Werk untrennbar die gesamte Hardware?
Ja: Die Computerkunst ist museumsreif, weil sie, obwohl noch vielfach im experimentellen Stadium, Ÿber ein zu beachtendes €stehtisches Potential verfŸgt. Sie wird zu Unrecht von vielen falsch eingesch€tzt und bewertet.
Computerkunst sollte nicht als Appendix, als gerade mal nette €sthetische Spielerei auf ansonsten merkantil durchkalkulierten Computerfachmessen ein Schattendasein fristen mŸssen. Dorthin wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Feuilletonist verirren und wenn er es denn doch tun sollte, wird er Computerkunst immer im Kontext der kommerziellen Gebrauchshardware wahrnehmen und auch so Ÿber sie schreiben. Daher ist es mehr als dringend geboten, die Arbeiten der ComputerkŸnstler in den kŸnstlerischen Zusammenhang (sei es nun Museum, Galerie, Kunstverein oder das Feuilleton und die Kunstzeitschrift) zu stellen.
Denn dort mu§ sich die Computerkunst bew€hren dŸrfen, dort diskutiert und integriert werden. Dazu gehšrt Mut und ein hohes Ma§ an Weitsicht; Ausstellungsmacher, Kritiker und KŸnstler sollten dieses auch im eigenen Interesse berŸcksichtigen.
Noch aber ist es lange nicht soweit, viel mu§ noch (vor allem an šbrezeugungsarbeit) geleistet werden. Einige Institutionen sollten beginnen, sich mit dieser Materie zu besch€ftigen. Die Freie und Hansestadt Hamburg, bekannterma§en eine "Medienmetropole", hat die Notwendigkeit erkannt und setzt sich durch einen Verbund von Aktionen fŸr eine Etablierung der Medienkunst ein. Neben dem sehr erfolgreichen Symposion "INTERFACE", veranstaltet von der Kulturbehšrde Hamburg unter FederfŸhrung von Prof. Dr. Klaus Peter Dencker und der von Thomas Wegner ins Leben gerufenen "Mediale", hat sich die Hamburgsiche Kulturstiftung mit dem PRISMA- Preis fŸr Computerkunst etabliert.
Die Hamburgische Kulturstiftung hofft, mit der Auslobung und Vergabe des noch jungen Preises nachhaltig das Thema Computerkunst in das šffentliche Bewu§tsein zu rŸcken.
Um dem experimentellen Wesen der Computerkunst gerecht zu werden, hat sich die Kulturstiftung entschlossen, den Rahmen des Preises mšglichst Ÿberschaubar und damit flexibel und offen zu gestalten. Der PRISMA-Preis soll sich, so das Ziel, zu einem qualitativen Sensor fŸr neue Stršmungen der Computerkunst entwickeln.
Die Fakten: Der Preis ist mit insgesamt DM 21.000,- dotiert und wird alle zwei Jahre verliehen. Gestiftet wurde er von Michael Poliza von der PRISMA Computertechnologie GmbH. Die Ausschreibung erfolgt international. In diesem Jahr bewarben sich 248 KŸnstler aus 25 Nationen mit insgesamt Ÿber 800 Arbeiten. Der PRISMA-Preis wurde nach 1990 nun zum zweiten Mal im Rahmen des Symposion INTERFACE 2 Ÿberreicht. Preistr€ger waren Agnes HegedŸs (Ungarn/Karlsruhe), Beriou (Frankreich) und Wolfgang Kiwus (Stuttgart). Die Ausstellung der von der Jury mit lobenden Anerkennungen ausgezeichneten 10 Arbeiten fand im Rahmen der Mediale in den Deichtorhallen Hamburg statt. Im Sommer 1993 wurden die Arbeiten in Prag gezeigt.
Der Rahmen: Mit dem PRISMA-Preis werden KŸnstler ausgezeichnet, die in hervorragender Weise den Computer in ihren kŸnstlerischen Gestaltungsproze§ einbeziehen. Dabei stehen bei den Arbeiten nicht die technischen Aspekte sondern allein die €sthetischen Qualit€ten im Vordergrund der Bewertung. Der PRISMA-Preis will darŸberhinaus ein Forum schaffen fŸr die Begegnung und Besch€ftigung mit der Kunst aus dem Computer. Dieses geschieht einerseits durch die Organisation einer die Preisverleihung erg€nzenden Ausstellung, der Edition eines Kataloges und einer CD-ROM, sowie andererseits durch die Veranstaltung von Expertengespr€chen zum Thema "Entwicklungsmšglichkeiten und Grenzen einer Kunst aus dem Computer".
In einer Kritik zur Ausstellung "Art & Fair" und "Die Vier Elemente" in den Deichtorhallen Hamburg anl€§lich der Mediale, schrieb in Kritiker in der F.A.Z.: "Wer in Hamburg Kunst suchte, landete in den R€umen der PRISMA Art Galerie (...)". Der Anfang ist gemacht.

14.3.1994

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