Thing Frankfurt Blog / Archiv
Stefan Beck - Selbstdarstellung - 25.4.1994
25. 4. 1994
Am 16.3.94 fand im 707 Bureau eine kleine Versammlung statt, auf der diskutiert wurde, wie die Attraktivitaet von TT erhoeht werden koennte. Es kam zum Vorschlag, dass sich Teilnehmer des Thing am Anfang vorstellen sollten, um anderen eine Vorstellung zu geben, mit was sie sich beschäftigen.
Nachdem ich schon einige Zeit am Netz aktiv war, moechte ich diesen Vorschlag nun umsetzen.
Vermutlich kennt mich die eine und der andere schon von der kontrovers diskutierten Werbung fuer die Gruppe >freundschaft<: »seien wir dessen eingedenk, dass ein grosser massenkampf naht
«
Bei >freundschaft< (eben jener >techno/industrial/avantgarde<-gruppe) bin ich fuer die Texte und die Sprache zustaendig, wie ich mich sonst auch fuer alles zustaendig fuehle, was mit Wort und Schrift zu tun hat. »Texten« ist wohl die allgemeinste Bezeichnung meines Tuns, frei und im werblichen, im typo- und topografischen Sinne.
Dass ich ueber zwei Jahre am hiesigen Institut fuer neue Medien verbrachte, haengt damit zusammen, dass ich immer daran glaubte, dass mein Textschaffen eng mit der Entwicklung einer maschinellen Kunst verbunden sei. Ich bin immer noch der Meinung, dass die »ecriture automatique« der Surrealisten ihre angemessenste Weiterentwicklung in den sogenannten Neuen Medien finden wird. Das ist allerdings eher ein Wunsch, als Tatsache. Das Institut fuer neue Medien hat mich gruendlich enttauescht, Peter Weibel sowohl kuenstlerisch wie auch politisch. Diese sogenannte »interaktive« Richtung ist n. m. M. eine groteske Misskonzeption, was man/frau eigentlich mit Computern machen koennte. Waehrend meiner Institutszeit habe ich dem immer entgegen zu steuern versucht. Vergeblich. (Nur nebenbei: Marko Lehanka, den ich ja kuerzlich erst wegen seines »Kunstgewerbes« kritisiert habe, ist es mit seinen damaligen Texten nicht besser gegangen. Die Texte haetten fuer das Institut wirklich eine Richtung sein koennen, aber sie wurden dort wegen »Silicon Graphics, Abekas, Wavefront, Betacam etc« und wie dieses High-Tech-Zeug noch so heisst, vollkommen unterdrueckt.) Ich versuchte eine Analyse des dort eigesetzen UNIX-Operating-Systems, das ich in »UNIXxxx« (xxx fuer unendliche Variationen) umtaufte und Kurse ankuendigte, die sich mit der Problematik, wie mit einem Betriebssystem Kunst machen, beschaeftigen sollten. Mein Gedanke war, es muss doch falsch sein, zu glauben, dass ein paar Hardware- und Softwarebestandteile, die eine Firma einfach dahinstellt, gleich zu »Kunst« befaehigen. Deshalb wurde auch immer davon geredet, man muesse ueber die Geraete hinausgehen, die Grenzen ausloten, Neues schaffen
Und das sollte dann Kunst sein!? Mir kam es so vor, dass an den Computern nichts auszuloten, nichts herauszuschoepfen, oder zu ueberbieten ist. Sie sind eigentlich schon Kunst, ersonnen von kreativen Ingenieuren, die viel Geld und Zeit investiert haben, um so ein Werkzeug zu schaffen. Kunst ist demgegenueber kein Auftrag mehr, hoechstens noch Design. Was ich »UNIXxxx for beginners« genannt habe, war der Versuch, am Beispiel des Betriebssystems des Computers, was sicher nicht sehr kunstverdaechtig ist, dieses Problem zu thematisieren.
Der Weibel soll einmal gesagt haben, die Studenten, die ans Institut kaemen. die wollten immer »medienkritisch« sein, er aber brauechte Fanatiker, die Tag und Nacht an den Maschinen hingen. Fanatiker, meint er, die am Besten in seinem Auftrag Installationen zusammenbasteln, die er unter seinem Namen dann verkaufen kann. Das habe ich mir nie unter einem Institut fuer neue Medien vorgestellt. Das Institut sollte der Ort einer kritischen Auseinandersetzung zum emanzipativen Mediengebrauch sein. Aber das war wohl zu idealistisch gedacht.
Ich habe 1991 zusammen mit meiner Wiener Kollegin Manuela Burghart das Unternehmen »the white visitation« (TWV) gegruendet, quasi als Gegenpol zur institutionellen Inkompetenz. TWV ist Agentur, Büro und Archiv gleichermassen. Sein Thema ist »kuenstliche Intelligenz«(KI). Was das bedeuten mag, ist auch Gegenstand der Forschungstaetigkeit von TWV. Wir operieren als KünstlerInnnen, das Thema hat erstmal nichts mit Kunst zu tun. Wie kann es zum Thema der Kunst werden? Es liegt natuerlich nahe, den Medienbereich als Schnittstelle zu nehmen, aber das ist bloss akzidentiell. Weil es vielleicht in beiden Bereichen um Computer geht, muessen sie noch nicht viel miteinander gemein haben. KI ist mitlerweile eine von vielen Disziplinen der Informatik, sicher nicht die wichtigste. Das war nicht immer so. Kaum hatte die ersten Computer das Licht der Welt erblickt, als ihre Schoepfer gewahr wurden, dass sie keineswegs zum Behandeln grosser Zahlenmengen (»number crunchers«) geeignet schienen, sondern aufgrund ihrer allgemeinen Faehigkeit zur Symbolmanipulation, in Bereiche vorstossen koennten, die bislang dem Menschen als »mentales« oder »psychisches« vorbehalten waren. Sie sollten »denken« koennen. Die Frage, ob Maschinen denken koennten, fand aber Alan Turing schon 1950 »too meaningless«, um sie weiter zu eroertern, um anschliessend sein beruehmtes Imitationsspiel vorzuschlagen, in dem es um das Problem geht, ob wir umter gegebenen Umstaenden, einer Maschine Gedanken zuschreiben oder sie intelligent nennen wuerden. Die anfaenglichen Erfolge in diesem Bereich hatten zum Ergebnis, dass Computer und die Frage nachder KI bis Anfang der 60er Jahre sysnonym waren, und erst langsam lernte man die rein kommerziellen Vorteile von Computern (in der Bureau-Automation z.B.) schaetzen. Der Begriff KI stammt aus dem Jahre 1956, als man sich klar wurde, dass der weitere Fortgang dieser Wissenschaft von der Entwicklung eigener Sprachen fuer diesen Zweig abhaengig sein wuerde. Zu den sog. All Purpose Languages kamen spezielle KI-Sprachen (LISP, PROLOG) und weitere andere Spezial-Sprachen hinzu.
Kunst, hat Holger van den Boom gesagt. sei heute genauso ein Teil der Forschung. Den Sinn dieses Diktums auszumachen, ist auch eine Aufgabe von TWV. An was forscht der Kuenstler heute, was bedeutet dabei >forschen<. Hinsichtlich dieser Untersuchung, ist es fuer uns wichtig, um die Probleme von KI zu wissen, denn es geht schliesslich darum, einem Klumpen Materie, der absolut gar nichts weiss, ein Wissen zu geben, mit dem er sich in der Welt ein wenig zurecht finden kann. Der Prozess der Individuation des Kuenstlers ist immer raetselhaft, d.h. aber nicht, dass es keine rationalen Methoden geben kann, ihn aufzuhellen. Dass Kusnt moeglich ist, wissen wir; ob KI moeglich ist, wissen wir nicht. Was Kunst und was KI ist, sind trotzdem verwandte Fragestellungen.
Die konkrete Arbeit von TWV gruendet sich in einem bestaendigen Austausch von Faxen, Mails, Disketten etc zwischen Wien und Frankfurt. Daraus entsteht ein grundlegendes Archiv, in dem alle moeglichen Fragestellungen gespeichert sind, die unser Leben und unsere Arbeit ausmachen. Das Archiv kann sowohl zum Anlaß als auch zum Gegenstand außer ihm liegender Forschungen werden. Dazu gibt es dann eine Materialiensammlung, die jeder von uns getrennt anlegt, aber zum Korpus der gemeinsamen Arbeit gehoert. Wir haben bislang in Videoinstallationen, Dia-Projektione, Vortraegen und privaten Info-Veranstaltungen ueber unsere Sammel- und Forschungstaetigkeit berichtet. The Thing, das ich vorerst allein in FFM anzapfe, gibt uns neue Moeglichkeiten der Kommunikation. Deshalb war mein erster Gedanke, als TT hier in FFm eingerichtet wurde, das Projekt TWV ins Netz einzubringen. Konkret stelle ich mir einen Art Pool vor, Area heisst das hier, in den alle Informationen bezueglich »kuenstliche Intelligenz« abgelegt werden koennten. Das kann aus allen moeglichen Bereichen kommen, auch Gen- und Biotechnologien gehoeren da hinein. Das Problem ist ja, das KI an sich schon ein Sammelthema geworden ist, in dem sehr viele Disziplinen mitmischen. Modisch ist es geworden, seine theoretische Abspaltung jetzt »Kognitionswissenschaft« zu nennen. Es gibt nicht DIE KI, sondern viele Gebiete. Deshalb ist es auch immens schwer, zu behaupten, man wolle KI abdecken, oder vertreten, oder sich damit beschaeftigen. Ich stelle mir vor, dass innerhalb des Netzes mehr Leute dazu beitragen koennten, einen umfassenderen (aber nicht bloss im bibliografischen Sinne) Ueberblick ueber das Thema zu gewinnen. Vielleicht kommt ja so viel zusammen, daß sich ein eigener Bereich in TT lohnt.
Ueber KI werde ich nochmals ausfuehrlicher auf dem frischmacherInnen-Symposium in Koeln sprechen.
Einstweilen
Stefan Beck, Computerkuenstler