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Stefan Beck an Sabine B. Vogel - 19.5.1994

19. 5. 1994

Liebe Sabine,
ich weiss natuerlich ziemlich genau, wofuer der Begriff „Superwahljahr" steht, Du hast es auch nochmals auf den Punkt gebracht, und ich zweifele auch gar nicht an seiner Funktion, sehr viele unterschiedliche Erscheinungen zusammenzufassen. Aber mir scheint, dass Du meiner Vermutung, der Begriff „Superwahljahr" koenne noch mehr konnotieren, als die blosse Anhaeufung bestimmter demokratischer Rituale samt einhergehenden Medienspektakel nicht wirklich begenez bist.. Schon die Fixierung aufs Waehlen erscheint mir zu einseitig. Es wird normalerweise alle vier Jahre gewaehlt, was eigentlich ein recht grosser Zeitraum angesichts vieler Dinge ist (so z.B. der Bosnien-Konflikt, Beginn 1991, im Jahre 1 der xten Legislaturperiode, im gleichen Zeitraum der Golfkrieg, Somalia, Kambodscha - alles Dinge, wo vielleicht die Bevoelkerung haette abstimmen muessen…), gleichzeitig ist es eine Illusion zu glauben, dass Entscheidungen alle auf Wahlen beruhten - 90% aller Gesetze werden durch die zustaendigen Ausschuesse vorbereitet und gehen einstimmig im Parlament durch, Kampfabstimmungen sind eher die Ausnahme als die Regel. Schlieslich steht auch die Wahl als solche gar nicht zur Debatte, ob und wie gewaehlt werden darf, steht in der jeweiligen Wahl nicht zur Debatte, Du kannst selbstverstaendlich auf dem Stimmzettel Dein Kreuzchen machen, aber gegenueber der Wahl an sich kannst Du nur wegbleiben oder den Wahlakt ungueltig machen. Ich will nicht den alten Sponti-Spruch wieder aufwaermen, Wahlen aendern nichts, sonst waeren sie verboten, aber wie kann es ueberhaupt funktionieren, dass, wie Du schreibst, im Hinblick auf einen moeglichen Regierungswechsel noch Erlasse „massiv durchgezogen werden"? Das heisst doch nur, dass man davon ausgeht, dass die neue Regierung sie nicht rueckgaengig machen wird. Aber was kann das denn fuer eine neue Regierung sein, wenn sie nicht rueckgaengig macht, was die alte Erlassen hat? Eben die daraus erwachsende Rolle der Kontinuitaet, die Opposition und Regierung aneinander bindet, muss mich doch im Hinblick auf die Wichtigkeit von Wahlen stutzig machen. Nun, das ist schon Demokratie-Theorie. Popper soll ja mal gesagt haben, der Zweck von Wahlen bestuende nicht darin die beste Regierung an die Macht zu bringen, sondern eine schlechte abwaehlen zu koennen. Nun, mir kommt es so vor als suggeriere „Superwahljahr", dass es um mehr ginge als in anderen Wahljahren, aber das ist einfach nicht wahr, weil mich schon bestimmte Wahlen formal gar nicht tangieren (ich wohne in Hessen und nicht in Thueringen) oder von mir gar nicht entschieden werden koennen, wie die Bundespraesidentenwahl, und schliesslich weil ich an keinen grundlegenden Wechsel glaube, wenn ich schon das Gesuelze von Scharping zum „Industriestandort Deutschland" hoere, wie er sich eifrig bemueht ein besserer Helmut zu werden, in der Asyfrage, Bundeswehreinsaetze,Lauschangriff etc.

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Das Fahrrad.
a) Die Besuchsveranstaltung wird ueber KI gehen.
b) Der Gedanke, meine Fahrradgeschichte in Verbindung mit Frischm. zu bringen war der, dass ich doch denke, dass der zitierte Text etwas mit dem Bourdieuschen Anspruch zu tun hat, bei der Untersuchung von Aesthetik die Gesamtheit ihrer Phaenomene, „Malerei und Sport, Musik und Kueche, Literatur und Frisur" ins Auge zu fassen. Wenn ich also sagte, dass ich als Radfahrer auch Kuenstler bin, dann wollte ich weniger auf die ertrauemte Einheit von „Privat + Beruf" abzielen, die sicherlich in letzter Konsequenz schwachsinnig ist, als das Phaenomen, das sich Stefan Beck nennt, den Produzenten aesthetischer Ereignisse (wenn ich´s mal so formulieren darf), in der Gesamtheit seiner aesthetischen Aeusserungsformen zu betrachten. Und dazu gehoert auch die Tatsache, dass ich Fahrrad fahre (+ alles andere Kleidung, Wohnung, Essen etc). Aber auch, was ich fuer ein Fahrrad fahre (Steinweg), oder welches ich gerne fahren wuerde (Koga-Miyata), und ob ich es politisch auffasse (Ja) oder nicht. Das wird leicht peinlich, deshalb ist es auch nur mal so ein Herantasten an diese Art von Praxis, die scheinbar nichts mit meiner kuenstlerischen Taetigkeit zu tun hat. Aber es ist vielleicht ja nur scheinbar scheinbar und die Mitteilung ueber meine Fahrradaktivitaeten traegt zur Dekonstruktion meines SELBST bei. Es ist nicht unbedingt wichtig, ob es in TT eine Oeko-Ecke gibt, in die mich vielleicht mancher abgeschoben sehen moechte, sondern zu fragen, was denn eine solche Oeko-Ecke woanders erzeugt. Das ist das Problem des Fido-Netztes. Ich weiss nicht wie sich der Stefan-Roemer einen Diskussion ueber Frischm. vorstellt, vielleicht kommt er ja zu ganz anderen Gedanken, oder er sieht diese Verkehrswissenschaft (das klingt bloed, aber von der erotischen Seite hat ein Fahrrad einige Handicaps. wenn ich da nur an Salinger´s DOUBLE DATES denke, die in einem Auto stattfinden....) als aehnlich wichtig an wie ich.

So long Stefan

PDO

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