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Stefan Beck an Rainer Ganahl - 26.1.1995
26. 1. 1995
Lieber Rainer,
Dein Vorsatz, nichts mehr zu machen, was mit Kunst verwechselt werden koennte, hat mir viel Mut gemacht. Das entspricht einer Erfahrung, die viele Leute, Kuenstler?, die ich schaetze, machen. Die Kunst geht ihnen am Arsch vorbei, wie sich mein Kollege Wollscheid deftig ausdrueckte.
Schliesslich lebt Kunst nur davon, dass sie urspruenglich auch nicht- oder noch-nicht-Kunst war. Deshalb mache ich im Moment auch Sachen, die wie echte Kunst aussehen, oder zumindestens Mittel davon, Oelfarbe, Papier, Leinwand, gebrauchen. Dazu habe ich mir extra von zuhause meine mitlerweile verstaubten und teilweise ausgetrockneten Malmittel besorgt. (Ja, ich hab vor der Akademie richtig gemalt, ich hab Leinwaende gespannt...) Der Vorteil besteht darin, dass es unverdaechtig aussieht, eben nach Kunst. Niemand bringe ich damit auf Ideen.
Das ist aber nur eine Richtung. Kunst zaehlt ja hier in FFM nicht besonders viel. Dafuer aber das nightlife, RAVES, TECHNO, JUNGLE. Da moechte ich ein bischen mitmischen und bin zu der Idee gekommen, eine Sake-Bar aufzumachen. Es gibt ja hier eine Menge Japaner und japanische Restaurants, aber keine echte Sakebar, so ein kleiner Schuppen, mit einer Bar, einer Mama-San und ein paar blonden Maedchen, die sich um die Business-Men (wie heissen die nochmals auf japanisch?) kuemmern, dann vielleicht auch noch Karaoke. So etwas fehlt einfach hier in FFM.
Leider war ich noch nicht in Tokyo, deshalb fehlt mir die konkrete Anschauung. Vielleicht koenntest Du mir noch ein paar Tips geben, was fuer so eine Bar wirklich wichtig ist.
Wie eigentlich aus dem unmittelbaren Lebenszusammenhang (ULZ) arbeiten? Ich hab zwar immer geahnt, dass dieser problematisch sein koennte, aber bis zur Lektuere von Bourdieu nicht richtig begriffen. Seitdem kuemmere ich mich intensiver um die Bedingungen dieses ULZ. Nach Hause zu meinen Eltern zu fahren, wird mir zu einer Soziographie in eigener Sache. Ich begreife endlich auch meine Eltern als gemacht. (Bourdieu hat an einer Stelle ueber den Uebergang von Champagner zu Whisky raesonniert, und tatsaechlich finden sich in meinem Bekanntenkreis immer mehr Leute, die Whisky-Kenner sind, meine Schwester berichtete kuerzlich ganz stolz von einer Whisky-Probe mit 11 verschiedenen Sorten Malt-Whisky, waehrend bei meinen Eltern eine armselige Flasche Tullamore Dew seit 10 Jahren verstaubt.) Grundlegend fuer mich ist meine Herkunft aus dem Bildungsbuergertum, was mir das Kunststudium einerseits erleichtert hat, weil von zuhause auch so eine Art Grundakzeptanz vorhanden , andererseits auch erschwert, weil die aesthetische Offenheit schon quasi praefiguriert war. Diese Vor-Bildung abzutragen, beschaeftigt mich immer noch.
Ich lese gerne solche Frauenzeitschriften wie Cosmopolitan, Elle, Marie-Claire, weil die sich an einen ganz anderen Typus richten, an die, die von zuhause nichts mitbringen. Daran sehe ich, worin die Erziehung zum Gefuehl besteht. Ein Kosmos an scheinbaren Nichtigkeiten. Er braucht etwas Neues zum Anziehen. Welche Designer-Mode wuerden Sie ihm gerne verpassen? a) Laessige Qualitaet von Giorgi Armani. b) Mulberrys Kombination von Lifestyle und Landleben. c) Was Ausgeflipptes und Schrilles von J.P. Gaultier d) Etwas Individuelles von Comme des Garcons. (Lifestyle und Landleben finde ich eine schoene Aliteration, da denke ich an die juengsten Bums-Geschichten von Prinz Charles und CPB).
Genug, genug. Als ich Dich Ende 88 zum erstmal in Wien traf, sprachst Du von zwei Arbeiten, die Dich besonders beeindruckten, zum einen After Walker Evans von Sherry Levine, zum anderen die New Hoover Convertible von Jeff Koons. Sind das nicht beides Arbeiten, die in einer gewissen Naehe zum ULZ stehen, hier die Dokuments des kargen Landlebens, des armen Suedwestens der USA, dort das blinkende Haushaltszubehoer, Stellvertreter der alltaeglichen Reproduktion?
Ich habe den Katalog von Art and its Double gefunden, in dem beide abgebildet sind. Darin noch fruehe Arbeiten von Koons, Aqua Lung, 2 Ball Equilibrium, noch alles vor der Banality-Show. Bis eben auf die Staubsauger habe die Sachen doch etwas sehr gewolltes an sich.
Gibt es da vielleicht einen Punkt, wo wir einsetzen koennten?
Herzliche Gruesse
Stefan