Thing Frankfurt Blog / Archiv
Dabei und dagegen - Lean Production
15. 9. 1994
Stefan Beck - Thing Mailbox 15.9. 1994 -- #2461 Ich bin dabei - und dagegen. Dabei sein, ist bekanntlich alles, und die blosse Anwesenheit scheint bei diesem Ding der kleinste gemeinsame Nenner gewesen zu sein. Neun Hamburger Kunstgrupper richten gemeinsam die diesjaehrige Woche der bildenden Kunst aus. Das ist kuerzlich von Michael Krome als "Lokalismus" oder "Separatismus" bezeichnet worden. Dazu waere noch einiges anzumerken: a) Gab es jemals etwas in Hamburg, das ueber den Charakter des Lokalen hinausgekommen waere? Die Stadt liegt im Abseits, und nur als Abseitige kann der Ruf entkommen: Sei dabei! (Als ich noch in Hamburg studierte, ging mir der dortige Hang zur Selbstgenuegsamkeit und Selbstbespiegelung mehr als einmal auf den Keks. Die Hamburger geographische Selbsteinschaetzung am ungefaehren Rand von Bayern angesiedelt zu sein, ist kein Witz, sondern Tatsache. "Schwierig" ist dort das haeufigste Wort. Alles ist "schwierig", am Schwierigsten sind Beziehungen. Nur auf diesem Boden kann ich mir ein Phaenomen wie Svende Merian erklaeren. Erinnert sich noch jemand an den "Tod des Maerchenprinzen"?) Aber zur Ehrenrettung sei darauf verwiesen, dass WELTBEKANNT (der Name sei hier Programm), drei Kuenstlergruppen aus New York eingeladen hat. Was auch insofern erwaehnenswert ist, da WELTBEKANNT das Projektgeld nicht in die eigene Tasche steckt, sondern anderen zukommen laesst. b) Separatismus. Wer separiert sich da von wem? Wenn es etwas Neues an der Sei dabei Geschichte gibt, dann deutet S. in eine richtige Richtung. Kunst wurde bislang im Museum produziert. Wobei ich mit Museum nicht bloß die physische Lokalitaet meine, sondern Sinn und Zweck von Kunst. Als ihr Telos findet Kunst heute immer noch im Museum statt, bietet allein das Museum, neben der Bibliothek, der Kunst ein dauerhaftes kollektives Gedaechnis. Kuenstler sterben, Ateliers werden aufgegeben und Galerien schliessen. Allein das Museum versichert Dauer. Ich glaube, dass bei Sei Dabei in einem neuen Sinne ausserhalb des Museums gearbeitet wird. Gerade in oekonomischer Hinsicht. Schmidt-Wulffen, der mit der Vergabekomission sass, die das Projekt an die neuen Gruppen vergeben hatte, soll gesagt haben, das sei "ganz schoen viel Kunst fuers Geld". Deutet sich nicht hier ein Phaenomen an, dass in der Industrie schon seit einiger Zeit Einzug gefunden hat: LEAN PRODUCTION? Gerade im Hinblick, dass das Projekt letztes Jahr in Konkurrenz zu einem konventionellen Kuratorenprojekt (von Barbara Steiner) stand - 6 Einzelkuenstlerprojekte + Kuratorengehalt - , veranlasst mich zur Frage, ob jetzt fuer groessere Ausstellungsvorhaben nicht verstaerkt ausserhalb des Museums gearbeitet wird. Aehnlich wie in der Autoindustrie, Produktionsbereiche auslagern und die Zulieferer bis zum letzten schroepfen. Wer fuer weniger Geld, mehr bietet - egal wie -, bekommt den Zuschlag. Museum wie traditionelle Fabrik sehen sich in der Rezession ausserstande Vollversorgung zu leisten. Diversifikation lautet das Schlagwort. (IKEA: Design in Sweden. Made in Turkey) Fuer den Museumsdirektor ist die Sache doch ganz klar, wenn das Budget um die Haelfte gekuerzt ist, warum sollte ich dann noch die Originale (Judd, Rauschenberg, Naumann, Stella, und wie die Giganten noch alle heißen....) nehmen, wenn mich die Kopien hoechsten ein Zehntel kosten. Hat jemand gedacht, dass das Gerede der letzten 10 Jahre ueber Simulation, Apropriation und Sampling vor der kuenstlerischen Substanz halt gemacht haette? Hamburg zeitigt eine Erscheinung, wo nicht Kuenstler Kopien herstellen, sondern selber die Simulakren sind. Herr Schmidt-Wulffen hat das besonders gut erkannt und sollte einen Orden bekommen. In diesem Sinnen frage ich mich auch, ob hier "Separatismus" nicht auch auf jene konservativen Ideologien paraphrasiert werden sollte, die mit ihrem Europa-Gerede meinen, dass die dritte Welt selbst sehen sollte, wie sie klarkommt (mit der fortdauernden Ausbeutung, versteht sich). Bin ich als Kuenstler und als Sub-Unternehmer von weltbekannt, die wiederum Sub-Unternehmer von Sei-Dabei und Schmidt-Wulffen sind, nicht schon laengst "separiert"? Muss ich nicht in Zukunft davon ausgehen, dass ich meine Kunst an solche No-Name Anbieter wie Sei-Dabei loswerden muss, die als Simulakren hoeheren Versagens geduldet und aufrecht erhalten werden. Sind die Status-Artikel der Kunst nicht nur nicht mehr finanzierbar, sondern auch nicht mehr produzierbar? Bin ich als Kuenstler nicht bald so etwas wie die Computer-Heimarbeiter (mit TT vielleicht schon auf dem richtigen Wege?), von der eigentlichen Produktion und Konsumption abgetrennt und ghettoisiert? Ohne Einfluss und Beteiligung, aber immer "dabei"?
PDO