Sarrazin beim Friseur
Veröffentlicht am
Ich laß mir die Haare bei Bob schneiden. Bob hat, wie man so sagt, einen Migrationshintergrund. Vor einigen Monaten fragte ich ihn, ob Sarrazin auch in seinem Salon diskutiert würde.
Da wurde er recht ernst und sagte: "Weißt Du, ich frage mich manchmal, wann Schluß ist mit dieser Integration?"
Bitterkeit klang in seiner Stimme.
"Ich bin Deutscher, ich habe einen deutschen Paß. Ich habe deutsche Freunde. Ich träume sogar in Deutsch. Aber trotzdem ist das nicht genug."
Darauf wußte ich nichts zu erwidern. Ein diffuses Gefühl von Scham stieg in mir auf, ohne Verdienst Träger eines Attributes zu sein, das ein anderer vergeblich zu erlangen sucht.
Erst einige Tage später kamen mir Gedanken, die eine Verwandtschaft zwischen seiner und meiner Situation nahelegten.
Ich bin Künstler. Ich arbeite jeden Tag an meiner Kunst. Ich bin fleissig. Und doch nutz das nichts. Ich erwarte noch nicht einmal von meiner Kunst leben zu können. Nur etwas mehr Anerkennung. Ein paar Worte der Dankbarkeit, für das, was ich leiste. Daß mal jemand sagt, Jawohl das ists.
Wenn ich die dürren Worte lese, die ich formlosen Ablehnungen entnehme ("...leider konnten wir uns nicht..., ...kein Urteil über ihre Qualitäten..." etc etc) frage ich mich auch wie Bob, - wann ist es je genug?
Daß der Zusammenhang kein zufälliger ist, vermittelt ein Text von Boris Groys mit dem Titel "Der Asylant in ästhetischer Sicht" [1]. Darin beschreibt Groys den Asylsuchenden als eine Figur, die zwischen Anpassung und Ablehnung der Norm schwankt, und daher niemals akzeptabel ist.
Zu klassisch (=angepasst) für die Romantiker, zu romantisch (=fremdartig) für Klassiker, - auf diese Formel versucht Groys den Asylsuchenden in einen weiteren kulturökonomischen Kontext zu bringen.
Damit sieht er die gegenwärtige Kunst selbst im Zwiespalt und im Lichte mangelnder Integrationsbereitschaft.
Die zeitgenössische Kunst ist dagegen angepaßt. Sie verfremdet nach wie vor, sie weicht nach wie vor von der Norm ab, aber sie tut es, ohne mit der Tradition, [die] in den Institutionen der westlichen Kunstwelt verkörpert ist, wirklich zu brechen.
Damit situiert sich die zeitgenössische Kunst in der gleichen hybriden Grauzone, wie der Asylant, d.h. in einem unsichtbaren Raum zwischen Norm und Abweichung von der Norm, zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Authentizität und Simulation.
Diese Einschätzung verortet zumindestens meine persönliche Erfahrung in einem größeren Zusammenhang, wenngleich ohne Trost.
Aber hilft sie auch meinem Friseur?
* * *
[1] Boris Groys, Logik der Sammlung. Edition Hanser 1997