Kunstansichten Offenbach - revue passiert
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Am letzten wochenende (20./21.9.2002) fand der rundgang der Offenbacher ausstellungsräume der vom netzwerk offenbach veranstalten kunstansichten (http://www.kunstansichten.net) statt. Hier einige eindrücke vom Samstag. Obwohl nach dem flyer 35 gruppen mitmachen war in der stadt nichts von kunst zu spüren. Niemand zu sehen, der mit karte oder ähnlich auf der suche nach kunst unterwegs zu sein schien.
Bleibt nichts anderes übrig als die einzelnen orte aufzusuchen und nachzuprüfen, wie es um die aussage des flyers steht:
"Hier wird die individuelle Atmosphäre der einzelnen Kunst-Orte in Offenbach erlebbar."
Fahrradhalle, immerhin der älteste off-space in Offenbach. Weiss gepinselt, leer geräumt, bilder an der wand, die sich "flowers" nennen und auch solche darstellen. Ein text dazu lautet:"Blumen schenken heißt, sich der Schönheit bedienen, um Brücken zwischen den Herzen der Menschen zu schlagen". Das floristengewerbe zählt sicher auch zu den sponsoren der kunstansichten, deren logos fein säuberlich auf einer leuchtwand in der ecke der fahrradhalle angebracht sind. Oder ist es eher die energieversorgung offenbach? Blumen spenden auch energie, nicht wahr?
Studio Moschee, das von Oliver Raszewski betrieben wird, stellt auch eben diesen aus. Computerdrucke auf leinwand mit photoshop verfremdeten bildern aus den massenmedien, die uns in den letzten zehn jahren ins hirn gebrannt wurden. Danke an Herrn Raszewski, dass wir sie auch weiterhin nicht vergessen.
Eigentlich wollte ich mir ja keine ateliers ansehen, weil das für mich wenig mit kunst, ausstellungsräumen, alternativen, unabhängigkeit usw. zu tun hat, für die man die öffentlichkeit ansprechen sollte. Denn das kann schliesslich jeder, einmal im jahr das atelier aufräumen und seinen kram ausstellen. Deswegen ging ich zu einem teil, das sich Projekt Bleichstr. 14 nannte und in einem dieser pittoresken hinterhöfe liegt, wegen denen man Offenbach lieben sollte. Das "projekt" ist wohl so eine art von zimmertheater mit angeschlossenen ateliers, von denen eins, der computer wegen, auf rege grafiktätigkeit schliessen liess. In dem anderen demonstrierte ein älterer herr inmitten einiger metallobjekte wie man mittels lautsprechern wasser zu seltsamen wellenformen anleiten kann. Das hat schon Carsten Nicolai letztes jahr auf der Biennale vorgestellt. Man ist echt jedes mal überrascht.
Noch mehr computer gabs bei dare art zu sehen, die wenigstens so offen sind zu sagen, dass sie "kunst und kommerz" machen wollen. Leider nicht in welchem verhältnis. Aber einige videoclips für diverse music acts waren skuril, sehenswert und handwerklich auf der höher der zeit.
Richtig ernst zu mute wurde mir im atelier ernst, das anscheinend ausschliesslich auf aktzeichnung setzt und entsprechende kurse anbietet. Was da an der wand hing, war so zeitlos, dass es auch vor 20, 50 oder teilweise auch vor 100 jahren hätte entstehen können. Mir kam der gedanke, dass die überzeitlichkeit von kunst ein scheiss ist. Kunst hat ihren wert nur in ihrer kontingenz, in der möglichkeit jederzeit zu verschwinden, zu verstummen oder abgeschnitten zu werden.
Besser schliesslich gings mir dann im Offenbacher Kunstraum, obwohl dessen selbstdarstellung "der OFK steht für ein populäres Konzept, das Menschen aus allen Schichten und Altersgruppen einen unkomplizierten, spontanen und direkten Zugang zur darstellenden Kunst ermöglicht" mich eher gruseln lässt. Aber der in Berlin lebende Franzose Jerome Chazeix legte dort unter dem titel "porn" eine grandiose performance hin, die mich dann für die Offenbacher sub-kultur versöhnte. "La performance Porn, point d'orgue entre stratégie sexuelle et de mode, est l'aguichement du public et la reprise de mes défilements de mode par un travesti et deux femmes prostituées au son d'une musique électronique live." Zusammen mit zwei erst am vortrag angeworbenen damen präsentierte er dort eine verstörte modenschau die unter monotoner disko musik und dem leeren einer flasche wodka in eine verhaltene mini-pseudo-orgie ausartete, von der sich auch zwei personen aus dem publikum anstecken liessen. Nicht alle tage sieht man wie ein grosser typ mit wild verschmiertem lippenstift im gesicht am boden liegend von zwei leicht bekleideten frauen eine netzstrumpfhose angezogen bekommt.
Das schöne an der sache war, wie dort erotik als maske präsentiert wurde; ein alter schal dreimal ums gesicht geschlungen wie ein verutschter turban mit dem pelzmantel der grossmutter ("mottenfrei" wie der künstler versicherte) war zehnmal erotischer als nacktes fleisch.
Fazit: Es lässt sich via PR und aussendarstellung durch pakate und hundertfach verbreiteten flyern durchaus eine atmosphäre erzeugen, als wenn etwas besonderes in Offenbach stattfinden würde, was auch eine eigene ewähnung und stellung von Offenbach rechtfertigte. Der allergrösste teil, den ich sah, konnte das nicht untermauern. Mag sein, dass ich nicht alles mitbekommen habe.