Ein bisschen Pathos?
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Wie sich in der zwischenzeit herumgesprochen haben wird, gibts am kommenden
samstag wieder eine nachttanzdemo, begleitet von einer zeitung, dem
nachtexpress, herunterzuladen bei --> http://www.nachttanzdemo.net
Wer sich vielleicht gefragt hat, warum denn da und für oder gegen was da
demonstriert werden soll, der wird schnellstens aufgeklärt:
Zitat "Nachexpress":
> Zunächst einmal sollten diejenigen,
> die eine Parade nicht nur als
> Freiluftvergnügen verstehen, unbeirrt
> an dem Anspruch, eine Demonstration
> durchzuführen, festhalten.
> Natürlich bedarf es dazu auch einer
> inhaltlichen Aussage, aber an politisierbaren
> Konfliktlinien mangelt es
> in den betroffenen Szenen nun
> wirklich nicht. Viele Veranstaltungsorte
> sind von bürokratischen Reglementierungen
> oder baulichen
> Begehrlichkeiten betroffen, die
> durchaus der demonstrativen Thematisierung
> wert sind.
Ach ja, es gibt ja so viele themen. Und olympia. Ich fänd das ja gar nicht
so wild, wenn nicht um diese themen das ganze jahr über schweigen herrschte;
und dann werden sie herausgekramt, wenn man ein strassenfest veranstalten
und hinterher nicht aufräumen will.
Schliesslich will sich der Herr Malzacher noch ein wenig "pathos" in der
verteidugung der kunst gönnen. Da wär ich sofort dabei, wenns nur um die
entsprechenden dinge ginge. Also, mir ist hier das theater, oper, ballett
vollkommen schnuppe. Statt Forrsythe wieder Schwanensee ist zwar ein wenig
peinlich, aber in der gesamtproblematik eher belanglos.
Mir ist diese perspektive vollkommen fremd. Florian, denkst du wirklich bei
"kultur in frankfurt" an diese staatsinstitutionen?? Diese aufgeblähten
versorgungsapparate?
Wenn mich etwas empört, dann, dass eine Annette Gloser von pontius zu
pilatus rennen muss und überall abgewiesen wird, und schliesslich in der
wüste von Texas landet. Die ehemalige galerie fruchtig steht übrigens immer
noch.
Darüber ist in diesem "nachtexpress" nichts zu lesen. Wenigsten hat die
Silke Hohmann ein paar zeilen in ihrem artikel im artkaleidoscope darüber
verloren.
Ich meine, wenn man schon gegen die vollkommen verblödete kulturpolitik der
stadt frankfurt protestieren will, dann nicht im namen von Forsythe & Co.,
die überall auf der welt ihren platz finden werden. Das ist nun wirklich
nicht mein anliegen.
Um es radikal zu fassen: von dem etat des theaters könnte man locker 300
multi.trudis, oder wers populärer mag 100 space-places und galerie fruchtigs
finanzieren. Das wäre nicht nur ein immenses theater, das wäre doch ein
ungeheuerer schub für kultur in frankfurt, wenigstens, wie ich sie verstehe
und wünsche.
> Provinz ist, wo man sie sich macht.
> In Frankfurt zum Beispiel, wo man
> mit dem Hinweis auf Altsachsenhausen
> und Bankenviertel stolz
> damit kokettiert, wie nah Dorf und
> Weltstadt doch beieinander liegen.
> Zufall ist es jedenfalls längst nicht
> mehr, wenn bei der Behandlung
> künstlerischer Projekte jenseits des
> Mainstreams ebenso wie im Umgang
> mit Portikus, TAT, dem designierten
> Opernchef Loebe oder
> dem resignierten Museumsdirektor
> Bradburne und zuletzt und vor al-lem
> in der peinlichen Diskussion
> um William Forsythe auf jeden einigermaßen
> hilfreichen Schritt zwei
> destruktive Schachzüge folgen.
> Unfähigkeit, Überforderung und
> Dilettantismus jedoch sind zunehmend
> nur die (sicher unfreiwillige)
> Maskerade für durchaus sehr
> bewusstes Handeln: Zwei Tendenzen
> der gesamten deutschen
> Politiklandschaft prägen mehr und
> mehr auch den Umgang mit der
> Kultur: neoliberales Marktdenken
> und konservativer Roll Back.
> Dass sich alles, auch die Kunst,
> Konservativer Roll Back
> Die frankfurter Kommunalpolitiker auf neuen, alten Pfaden
> rechnen müsse, ist nicht nur eine
> aus der Not knapper Kassen gebo-rene
> Auffassung. Es ist eine Weltan-schauung,
> die nicht einfach ver-schwinden
> wird, wenn sich die
> Stadtsäckel wieder füllen sollten.
> Zunehmend bestimmen Investoren,
> welche Kunst die Stadt braucht
> und haben es, mangels wirksamer
> Gegenwehr, nicht schwer, sich
> durchzusetzen. Statt beispielsweise
> alternativen Theater- und Kunst-projekten
> in der Naxoshalle eine
> Chance zu geben, wird lieber mit
> einem Fitnessstudio verhandelt
> (und eine harmlose Kabarettbühne
> lässt sich als Feigenblatt instrumentalisieren).
> Beim Frankfurter Hof
> drohten die Investoren gleich mit
> Absprung als sie hörten, dass auch
> Raum für junge Kunst erhalten blei-ben
> solle: Weil sich das nicht verträgt
> mit hochwertigem Wohnraum³
> (FR vom 26. 5. 02). Und sofort
> ist vom geplanten Atelierprogramm
> der Stadt keine Rede mehr.
> Auch deshalb ist der Fall Forsythe
> so brisant und tief bis in die Off-Szene
> hinein gefährlich: Denn sein
> Ballett wird von vielen Firmen tatsächlich
> als Wirtschaftsfaktor gese-hen,
> ist ein Exportschlager, weltweit
> mit Preisen ausgezeichnet. Das Verhältnis
> von Eigeneinnahmen und
> Gesamtetat ist ungewöhnlich gut.
> Die Abwicklung einer solchen Institution
> wäre ein Präzedenzfall: Wer
> das Frankfurter Ballett abschaffen
> kann, kann künftig alles abschaffen.
> Insofern muss man makaber ge-nug
> froh sein, dass sich die lokale
> Kulturpolitik für dieses Mal an einem
> austobt, der sich wehren kann
> mit einer breiten Lobby im Rücken
> wie kein anderer Frankfurter Künstler.
> Sollte sich die Politik hier allerdings
> durchsetzen, wird die Luft in
> ähnlichen Auseinandersetzungen
> künftig ziemlich dünn.
> So sehr Geld also eine Rolle spielt,
> der Glaube an die Wundermittel des
> Neoliberalismus auch in der Kultur
> erklärt längst nicht alles. Denn die
> realen Einsparungen ob beim Ballett
> oder beim traditionsreichen TAT,
> dem, fast schon unbemerkt im
> Schatten der Forsythe-Diskussion,
> nun wohl auch der Garaus gemacht
> vielmehr ein konservativer Roll Back
> ab. Längst muss sich keiner und
> auch kein Kulturpolitiker mehr
> schämen, unverhohlen klassisch-museales
> Ballett zurückzufordern.
> Hübsch soll die Kunst aussehen,
> nicht wehtun und geeignet sein, für
> schöne Abendgarderobe das gilt
> fürs Ballett wie für den Club-Abend.
> Der Zuschauerruf Kann mir das mal
> einer erklären³ nach gerade zehn
> Minuten Aufführung im Schauspiel-haus
> ist symptomatisch: Ignoranz ist
> schick. Um bürgerliche Bildung geht
> es dabei weit weniger als um die
> Bereitschaft zur manchmal auch
> unbequemen Auseinandersetzung.
> Es hat sich etwas verändert, und
> wenn die CDU-Kulturpolitikerin
> Prinzessin von Hannover sich nicht
> geniert, Forsythe gegen klassisch-museales
> Ballett eintauschen zu
> wollen, dann ähnelt das in einer
> anderen Szene der Forderung
> nach einer politikfreien Nachttanzdemo
> und klinisch sauberem
> Nightlife-Spaß.
> Öffentliche Räume sind diskursive
> Orte und deren Verlust zeigt sich
> eben nicht nur durch Kameras auf
> der Konstablerwache und
> Privatisierungsgelüste der Zeil-Geschäftsleute.
> Die Abschaffung des
> Diskurses ist Leitmotiv in der
> Sicherheits- wie in der Kulturpolitik.
> Das gilt für die Zielsetzung wie für
> deren Umsetzung: Die Türen blei-ben
> stets geschlossen; geheimnis-volle
> Stimmen aus der CDU³ for-dern
> angeblich Forsythes Entlas-
> SPD³ stimmen dem zu, wollen dies,
> wollen jenes. Nachfragen werden
> mit dem Hinweis auf laufende Bera-tungen
> abgeblockt, Mitdenken ist
> nicht erwünscht. Doch das anony-me
> Versteckspiel hinter den drei
> Buchstaben der Partei ist nicht nur
> stillos, es ist symptomatisch für die
> Abschaffung eines öffentlichen
> Raumes, vielleicht sogar des wich-tigsten
> öffentlichen Raumes: der
> Demokratie.
> Und so sind der Fall Forsythe, der
> Fall TAT, der Fall Portikus mehr als
> nur der Fall Forsythe, der Fall TAT,
> der Fall Portikus. Die Strukturen von
> Kunst (die Unterscheidung zwischen
> Off- und Hochkultur ist längst
> anachronistisch) sind insgesamt
> bedroht vom Eigentümergebaren
> der Politik und der Wirtschaft.
> Vielleicht also ist es ja an der Zeit
> für einen gemeinsamen General-streik.
> Auf jeden Fall aber ist es an
> der Zeit, nicht mehr auf jedes kulturpolitische
> Fiasko zu reagieren, als
> wäre es isoliert zu verstehen und zu
> bekämpfen. Und es ist an der Zeit,
> sich wieder ein bisschen Pathos in
> der Verteidigung von Kunst zu gönnen.
> Und sei es nur, um auch das
> Recht auf Sentimentalität nicht allein
> der schwanenseesüchtigen
> Gegenseite zu überlassen:
> No Paserán.
> Florian Malzacher
> http://www.sign.de/forsythe/