Theorie der Langeweile IV
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An dieser Stelle ein kurzer Blick auf den letzten Stand zur Diskussion über Langeweile bei trudi.sozial. Der Abend war einer Meditation über Andy Warhol gewidmet.
"Ich mag langweilige Sachen. Es gefällt mir, wenn etwas immer wieder genau
das gleiche ist ... Je öfter man nämlich genau dasselbe sieht, desto mehr
verschwindet die Bedeutung, und desto besser und leerer fühlt man sich."
(Andy Warhol)
Warhol ist der grösste dadaist unter den amerikanischen künstlern, der wohl
ohne zu zögern des ober-dada Baaders definition, dada sei die amerikanische
form des buddhismus, unterschrieben hätte.
Im obigen zitat finden sich zwei momente der langeweile; einmal, banal, ihr
dingcharakter: langweilig ist dieses oder jenes, - in seiner subjektiven
anschauung, weswegen es bei trudi.sozial auch nichts explizit langweilig
gemeintes gibt, also langweilige musik oder langweilige getränke. Denn was
dem einen langweilig vorkommt, kann der anderen höchst spannend sein.
Das andere moment ist die differenzlosigkeit. Das immer gleiche lässt alle
unterschiede verschwinden, in einem grauen einerlei versinken, nivelliert
die bedeutung (Frege hätte hier allerdings "sinn" eingesetzt), so dass dann
tatsächlich leere eintritt. Leere bezeichnet als abwesenheit eine
fehlstelle, die in ermangelung des fehlenden, nur noch als solche bemerkt
werden kann. Wahrhol geht darin nicht weiter, aber es ist naheliegend zu
vermuten, dass er eben genau diese leere positiv wertet, als ein sein (in
der form-losigkeit eine negativ-form), das zur meditation einlädt. Wäre der
gegenstand der meditation das eigene ich, so wäre das im falle Warhols
allerdings paradox, denn Warhol hat sich nie als ein ich gesehn, eher als
ein nichts: "Ich sehe gern in spiegel. Ein kritiker hat auch gesagt, ich
wäre ein spiegel. Aber was ergibt sich, wenn ein spiegel in einen spiegel
schaut...?"
Warhols 'all is pretty' ist die radikalste absage an jegliche form des
kritizismus, eine ungeheuere einverständniserklärung mit den dingen und dem
zustand der welt, ein grenzenloses geltenlassen und zusichselbstkommen des
ganzen und ungeteilten. Im 'all is pretty' kulminiert die differenzlosigkeit
zu einem exstatischen glücksgefühl, das an Nietzsches wiederkehr des
gleichen anklingt. Alles ist gleich grossartig, weil gleich langweilig, weil
und zu gleich schön. Das schöne ist hier nicht gleichbedeutend mit dem
guten, weil auf dem boden der unterscheidungslosigkeit schon jenseits von
gut und böse angesiedelt. Sisyphos war auch und gerade in der hölle
glücklich.
Diese Einschätzung wird allerdings nicht überall geteilt. Auf einer Seite von Bazon Brock fand ich folgenden Eintrag:
"»All is pretty« ist nicht die Formulierung, die weltweit bekannte und durchgesetzte Formulierung für die Affirmation: Laß das Unterscheiden zwischen gut und schlecht, links und rechts, oben und unten - »all is pretty« im Sinne einer affirmativen Heraushebung dieses Prinzips, indem man unterschiedslos Alles für beachtenswert erklärt -, sondern es war wirklich nichts anderes als die Auffassung eines Menschen, der feststellte, daß ihm Alles gelang. Er hat nicht strategisch Aspekte der Alltagswirklichkeit abbildungswürdig werden lassen, die Autounfälle, die Blumenstücke, die Kühe, die Popstars etc., sondern sie wurden ihm mehr oder weniger von einem seiner Mitarbeiter, Mentoren, von Henry Geldzahler vorgesetzt, und er hat sie wie ein guter Handwerker abgearbeitet. Er hat sie als Aufgabenstellung verstanden, auf die er umstandslos reagierte."
Annäherend wiederum ein Artikel in Ästhetik und Kommunikation:
"Pop ist ohne Programm, ohne Ideologie und ohne Orientierung. Es ist Auflehnung gegen die Moral, gegen Weltverbesserung, gegen Utopie und soziales Engagement. Pop ist die Politik der Nicht-Politik, der Geschmack der Geschmacklosigkeit, die Kultur der Unkultur. Es ist Respektlosigkeit gegen alles und jedes, gegen Normen und bürgerliche Werte, gegen die Institutionen des Establishments ebenso wie gegen die Philosophie, die ästhetische Theorie und die ›Wahrheit‹. Konsequent stellt Pop jegliche Formation von Aufklärung, Glauben oder Analyse unter Verdacht. Weder fügt es der Wirklichkeit etwas hinzu noch zieht es ihr etwas ab. Pop will nichts verändern, gibt keinen Ausblick, formuliert keine Ziele, verspricht kein Heil und keine Erlösung. Seine Antrittsgebärde ist vielmehr die Provokation, der Protest, die radikale Verantwortungslosigkeit. Kein Bild, kein Song und kein Gedicht, das nicht wie ein Steinwurf wirken oder einen Tumult auslösen sollte, das nicht der herrschenden Kultur die Maske der Heuchelei entreißen und der Gesellschaft ihre Oberfläche zurückspiegeln wollte."
Note: trudi.sozial