Mehr Kultur fürs Frankfurter Bahnhofsviertel?
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Gelegentlich des von bb22 ausgerichteten "Ideenlabors" für das Frankfurter Bahnhofsviertel gabs gestern (16.4.2005) eine Diskussionsrunde zum Thema "Kultur im Bahnhofsviertel".
Im Folgenden stellen wir ein Resümee und weitere Überlegungen vor.
Was ist die Grundüberlegung sich überhaupt mit dem Bahnhofviertel und möglichen Verbesserungen dort zu beschäftigen?
Die Wohnbevölkerung nimmt drastisch ab. Seit 1993 über 50%. Besonders für Familien mit Kindern scheint das Bahnhofviertel trotz günstigen Wohnraums keine Alternative zu sein.
Wie Architekt Martin Wilhelm vom Büro bb22 erklärte, kann Kultur die Wohnqualität eines Quartiers nachhaltig verbessern.
Die Frage sei nur, wie und auf welche Weise. Horrorvision sei eine Gentrifizierung, wie sie in New York typisch sei. Billiger Wohnraum lockt Künstler an, in ihrer Folge Galerien. Kulturinteressierte mit hohem Einkommen ziehen nach. Die Mieten steigen. Künstler und Eingesessene mit niedrigem Einkommen werden verdrängt. Wechseln in ein anderes Quartier, wo sich das gleiche wiederholt.
Wie kann eine solche Entwicklung für das Frankfurter Bahnhofsviertel vermieden werden?
Ist daher die Ansiedlung von Galerien wünschens- und förderungswert?
Sollte die Kunstmesse Artfrankfurt im Jahre 2006 ausserhalb ihres Messequartiers temporäre Verkaufsräume im Bahnhofsviertel bespielen?
Gerald Hintze von Weserstr.5 provozierte, das Bahnhofsviertel in seiner Skurilität wäre schon Ausstellung genug. Der Sexshop Dr. Müller als Videoinstallation wertvoller als ein Bill Viola.
Als positives Beispiel einer temporären Intervention erwähnte er die Künstlergruppe Phantombüro. Diese betrieben 1999 in der Kaiserstr. Werkstatt, Büro, Club- und Ausstellungsraum.
Thomas Tritsch von der Galerie Morgen konnte sich nicht vorstellen mit seinem Unternehmen aus dem Osthafen ins Bahnhofsviertel zu ziehen: zu wenig Platz, zu wenig langfristige Entwicklungsmöglichkeiten. Ihm gehe es vor allem um einen Lebensentwurf. Arbeiten, Wohnen, Ausstellen an einem Ort über einen längeren Zeitraum zu erproben.
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Ich meine im Bahnhofsviertel gibt es schon eine ganze Menge Kultur. Mehr als in manchen anderen Stadtteilen Frankfurts.
Wie das auch erwähnte Beispiel Romanov gezeigt hat, war das Quartier immer schon eine Art von Labor für kulturelle Experimente, die auf andere Ecken Frankfurts und seine Institutionen ausstrahlten.
Trotzdem ist es nicht genug, zu sagen: "Wer wirklich etwas machen will, wird schon Möglichkeiten und Wege finden..."
Ein "Ideenlabor" könnte zum Beispiel auf der Ebene der konzeptionellen Darstellung von Ideen Hilfestellung und Anleitung geben. Zur Bewußtmachung von alternativen Möglichkeiten beitragen.
Es wurde hingewiesen, daß auf einem früheren Treffen aufgeschlossene Hausbesitzer leerstehende Flächen für Ausstellungen angeboten hätten.
Aber müssen es denn unbedingt Ausstellungen sein?
Für mich war das schon erwähnte Phantombüro gerade darin beispielhaft, als es einen dauerhaften Anlaufpunkt bot. Auf dem Weg zu meinem Atelier stieg ich oft dort ab, traf auf den ein oder anderen Künstler, trank einen Kaffee dort, tauschte Neuigkeiten und Projekte aus. Das war mir mehr wert als jede Ausstellung.
Galerien mögen zwar als Attraktionen für Auswärtige taugen, aber sie arbeiten nichts. Wie die Fahrgasse zeigt, entsteht etwas Menschenauflauf zu den gemeinsamen Eröffnungen, den Rest der Zeit liegt die Strasse brach. (Ähnliches lässt sich auch an dem ansonsten so gut gemeinten Atelier Frankfurt beobachten.)
Was das Bahnhofsviertel braucht, wären mehr Projekte von der Art des Phantombüros (oder der Galerie Fruchtig, die kurzzeitig in der Kaiserstr. anwesend war). Einrichtungen, die wenigstens auf fünf Jahre hin vor Ort eine konkrete Arbeit leisten. Wohnateliers mit Werk/Arbeitsräumen samt Veranstaltungsräumen, die unter der Woche als Café/Bistro/Waschsalon dienen.
Das verlangt viel weniger Geld als eine veränderte Einstellung auf Seiten des Ordnungsamtes und der Hauseigentümer. Die muss beworben werden.
Mehr Cross-Over, mehr Fusion.
P.S.
Ein Blick nach Holland lohnt, wer Beispiele radikaler und kurioser städtebaulicher Planungen sucht:
Die Gruppe MVRDV schlug vor Jahre vor, die gesamte holländische Bevölkerung in eine einzige Mega-Stadt zu pferchen. Das restliche Holland sollte Landschaftspark werden.
Das Atelier Van Lieshout (AVL) entwickelte für ein Hafengebiet in Rotterdam einen bizarren Mix aus Kleintierhaltung, Waffen-, Alkohol- und Medikamentenproduktion, sowie privaten Mini-Knästen.
Gerade fürs Bahnhofsviertel könnte ich mir das gut vorstellen. Ansätze bietet das Rotlichtmilieu genug. Wie wärs mit Künstler-WGs, die ein Zimmer an einen Puff abträten? Das sorgte für viel Schwung, Geld in der WG-Kasse und sozialer Kontrolle der Prostitution.