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Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt?

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Frankfurt liegt nicht an der See. Und der Main gilt gemeinhin als gut ausgeschildert.

Leuchttürme meint hier aber, überregional, international ausstrahlende Kultureinrichtungen, die Frankfurt und der Rhein-Main Region Wettbewerbsvorteile im Kampf um Ansiedlung von Industrie und Kapital verschaffen sollen.
Davon spricht derzeit ein von der hessischen Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten.

Auf der Webseite des Landes Hessen ist hier folgendes zu lesen:

"Eine Region, die im weltweiten Wettbewerb trotz ihrer vergleichsweise geringen Einwohnerzahl in einem Atemzug mit London und New York genannt werden will und auch wird, muss alle gemeinsame Kraft darauf verwenden, nicht nur bei Verkehr und Finanzen, sondern gerade auch in der Kultur ernst genommen zu werden", erklärte der Hessische Ministerpräsident Roland Koch heute in Wiesbaden. "Wir müssen die kulturellen Angebote im Ballungsraum stärker als unmittelbaren und unverzichtbaren Standortfaktor begreifen.

Ob von Musik, Theater, Museen und Ausstellungen eine Anziehungskraft ausgeht, ob sie als Magnet wirken und Menschen aus aller Welt in die Rhein-Main-Region locken, ist letztlich auch entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg der Region, für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für die Lebensqualität. Wir können also gemeinsam wachsen oder im Kleinteiligen untergehen"
, so Koch.

Grundlage dieser Ausführungen ist der Bericht von Prof. Christoph Stölzl, langjähriger Direktor des Deutschen Historischen Museums und ehemaliger Kultursenator von Berlin, zur Lage der Kultur in Frankfurt und Hessen.

Darin lassen sich zwei Eckpunkte ausmachen:


  • Konzentration kultureller Förderung auf Frankfurt als "heimlicher Hauptstadt" Hessens
  • Konzentration auf kulturelle Einrichtungen, die das Potential haben, internationale Wirkung zu entfalten (sog. "Leuchtturmprojekte")


Ersteres beinhaltet die Forderung die Rhein-Main Region stärker an den kulturellen Aufwendungen Frankfurts zu beteiligen. Was sich die Landesregierung schon zu Eigen gemacht hat und voranzutreiben versucht. (Ballungsraumgesetz)

Letzteres eine kleine Anzahl von Institutionen herauszunehmen und diese nach internationalen Maßstäben personell ("die Besten der Besten") und finanziell auszustatten. Wer davon profitieren soll, ist unschwer auszumachen. Überraschend vielleicht, daß darunter Herr Stölzl die Buchmesse besonders hervorhebt.

* * *
Hier müssen wir uns absetzen.

Es ist sicherlich begrüßenswert, daß sich die Landesregierung zur Abwechslung auch mal mit Kultur beschäftigt.

Keineswegs neu, und immer noch aktuell und notwendig ist die Idee das Umland an Frankfurter Aufwendungen für Kultur zu beteiligen.

Fakt ist aber auch:

Was in Frankfurt in den letzten 15 Jahren an Innovationen in der Kultur entstand, hat fast gar nichts mit Leuchtturmprojekten zu tun.

Im Gegenteil, die jetzige "Misere" hat damit zu tun, daß sie das allermeiste verschlafen haben.

Und es sieht auch nicht so aus, als würden sie in nächster Zeit aufwachen.

Sicherlich kann man unter dem olympischen Motto "höher, schneller, weiter" einiges anzetteln. Aber zehn Busladungen Touristen mehr vor der Schirn machen die Ausstellungen auch nicht besser.

Denn das Grundproblem der Expertise von Prof. Stölzl liegt darin, daß auch er letztlich keine Maßstäbe für Qualität angeben kann. Was er aufzeigt, sind Wirkungen als Medieneffekte.

"International bedeutsam" heißt, es ist in so uns so vielen internationalen Publikationen erschienen. Damit läuft alles auf das rechte Marketing hinaus.

Das ist Herrn Stölzl durchaus bewusst. Denn zu Beginn seiner Studie unterstreicht er die Bedeutung kleinteiliger lokaler Kulturpraxis:

"Ich habe die hohe Kulturfrequenz der Rhein-Mainregion und das dichte Netzwerk von öffentlichen und privaten Kulturinitiativen deshalb so ausführlich skizziert, weil von fast alledem, was hier wohl täglich stattfindet, kaum jemals ein Ereignis in die deutsche Öffentlichkeit jenseits der Region dringt. Auf der nationalen und internationalen Ebene der Wahrnehmung spielt dieses lokal gebundene Kulturleben keine Rolle. In den Prestigekämpfen, die in den Feuilletons und Tagungen ausgefochten werden, kommen die Bürgerhäuser und die Mehrzweckhallen nicht vor. Dennoch muss uns die massenhafte Kulturpraxis im Zusammenhang unserer Fragestellung nach den Zukunftschancen der Region aus mehreren Gründen interessieren. Denn die Attraktivität einer Region hat eine sichtbare und eine unsichtbare Seite. Die sichtbare sind die "Leuchttürme". Die unsichtbare, zu Standortentscheidungen aber ebenso beitragende ist das Fundament, auf dem die Leuchttürme stehen und die blühenden Kulturlandschaften um sie herum. Die Mentalität einer bildungs- und kulturfreudigen Bürgergesellschaft ist für die Rhein-Main-Region ein großes Plus im Wettkampf um den Platz an der Sonne. Bildungseliten leben gern unter ähnlich Gesinnten. Kulturelle Netzwerke sind außerdem bedeutsam für den sozialen Frieden in Umbruchszeiten: "Wo man singt, da lass Dich ruhig nieder…" Die breite Kulturpraxis der Region ist aber auch ganz unmittelbar für Wohl und Wehe der "Leuchttürme" bedeutsam. Spitzenkultur kann langfristig nur dort blühen, wo sie eine Echo in einem fachkundigen Publikum hat. Dieses kann gar nicht breit genug sein."

Ebenso ist ihm die Frage nach den reellen Vermittlungskanälen einige Zeilen wert:

"...wenn es gelänge, der täglich stattfinden Kultur der Region zu gleicher Öffentlichkeit zu helfen wie der Wirtschaftswerbung und den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel, wäre dies vorbildlich für Europa. Es würde sich lohnen, über Kulturinformationssysteme jenseits der bezahlten Plakatierungsflächen nachzudenken. Das Internet und das gemeinsame Ticket- System der Region ist da bereits sehr weit, aber es kann die symbolische "Kultur-Markierung" des öffentlichen Raums durch Zeichensysteme nicht ersetzen."

Nun gilt es zu überlegen, wer eigentlich angesprochen werden soll. Manager, die sich gerne auch mal als "Industrie-Kapitäne" sehen wollen, mögen sich durchaus von, und nur von Leuchttürmen beeindrucken lassen. Aber auf einen Ackermann oder Breuer, die ohnehin kaum Zeit haben in die Oper zu gehen, kommen hundert "Normalos" in Schlipps und Sakko, denen durchaus zu vermitteln wäre, daß sie statt in die Alte Oper mal zu Atelier Frankfurt gehen sollten.

Die Leuchtturm Metapher ist vielleicht für Frankfurt nicht ohne Grund gewählt, erinnert sie doch zu stark an die Problematik der Hochhäuser. Die sehen von weitem gut aus, offenbaren aber zwischen sich, am Boden, nichts als Ödnis.

Gut gemeint und bemüht hat die Dresdner Bank im Erdgeschoss ihres "Gallileo" einen "Raum für Kultur" eingerichtet. Die meisten Bankangestellten nehmen den aber gar nicht wahr. Finden dort am Frühabend Veranstaltungen statt, sieht man bloß die Turmbewohner das Foyer der Bank beinahe fluchtartig verlassen.

Hier sei, zum Schluss, nochmals ein Blick auf die Problematik des Kultur/Finanzausgleichs Frankfurt versus Umland geworfen. Wenn dadurch zusätzlich Geld in die Frankfurter Kasse käme, ließe sich bedenken, ob nicht noch Mittel für Projekte jenseits von Leuchttürmen frei würden. Leider ist aber zu befürchten, daß die Stadt Frankfurt neue Einnahmen nur von ihren bisherigen Zuschüssen abziehen wird, es somit für die Kultur nur ein Nullsummenspiel bliebe.

Endlich auf Augenhöhe mit New York, aber pleite wie eh und je?
Ein Schelm, wer böses denkt.

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5 Kommentare

Nachtrag

Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt? - 24. May 2005 - 16:31

Es gilt mir nochmals drei Punkte zu verdeutlichen:

Re: Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt?

Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt? - 26. May 2005 - 14:34

also um mal auf dem Boden zu bleiben
für Frankfurt und das was dazugehört
langt doch ´ne Signaltaschenlampe
wie wir sie bei den Pfadfindern hatten,
mit zwei farbigen Scheiben (rot und grün),
was zum Abdunkeln und´nem Knopf mit
dem man morsen kann. Möchte behaupten
das dies wieder nur Zeichen
hyperphallischen Fehlens sind.

Re: Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt?

Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt? - 26. May 2005 - 17:26

So ne Signaltaschenlampe fänd ich auch gut, aber als Leuchtturm müsste sie 200m hoch sein.

Re: Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt?

Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt? - 29. May 2005 - 14:29

physikalisch langen 2001,80 m nicht,
wie wär´s mit nem schwebenden Heliumkissen
in adäquater Höhe, mit ´ner schwebebahn hoch;
das Licht wird bis dahin ja auch schwächer oder stand
in der Financial
they found artists near disneytown in the old world















































































Re: Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt?

Brauchen wir Leuchttürme in Frankfurt? - 29. May 2005 - 20:06

> wie wär´s mit nem schwebenden Heliumkissen

das reich ich an die städelschule weiter, die kennen sich da aus....

> they found artists near disneytown in the old world

schöner satz, ausgrabungen aus der zukunft

 

* * *

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