Umsonst und draußen in Tokyo
Veröffentlicht am
Natürlich gibt es nichts umsonst in Tokyo, - außer Tonnen von Werbung, die einem an den Eingängen der Bahnhöfe in die Hand gedrückt wird.
Umso mehr kam in mir das Verlangen hoch meinen teuer erworbenen Café Latte bei mildem Sonnenschein vor der Tür und im Freien zu genießen.
Aber das gibts nicht.
Die einzigen, die konsequent Tische und Stühle auf die Straße stellen sind McDonalds und Starbucks. Wegen denen ich bestimmt nicht nach Tokyo gekommen bin.
Hinter dem Bahnhof von Shinjuku, nahe der Shinjuku Dori fand ich noch eine grössere Ansammlung von Tischen und Stühlen, die von zwei blauen Containern aus bedient wurden. Das nahm ich gerne an, wenngleich ich das Gefühl hatte wie auf der Zeil zu sitzen.
Auch Grünfläche ist Mangelware in Tokyo. Kein Park jedoch, den ich aufsuchte, bot ein Café oder nur irgendeine Möglichkeit Essen oder Getränke zu erwerben. Kein Kiosk weit und breit. Getränkeautomaten, diese in Hülle und Fülle, als einzige Chance, und dann mit der Dose auf die Parkbank. Das macht keinen Spaß.
Woran liegt das? Schließlich bieten doch Sitze vor der Tür auch ökonomische Vorteile für die Gastronomie. Am Platz kann es auch nicht liegen. Kleinster Raum wird in Tokyo ansonsten mit größtmöglicher Erfindungsgabe ausgenutzt.
Ich denke, es hängt mit der Idee von öffentlichem Raum zusammen. Plätze, die uns aus dem Stadtbild unserer Metropolen so vertraut sind, finden sich in Tokyo nicht. Kein Römer, keine Piazza Navona, kein Picadilly Circus. Die einzigen beiden Orte räumlicher Öffnung sind Hachiko Crossing und der Platz vor dem Kaiserpalast. Ersterer aber nur im Dreiminutenrhythmus, wenn grad kein Verkehr herrscht, letzterer nur an hohen Feiertagen, die ein Erscheinen des Kaisers mit sich bringen.
Was den Griechen die Agora, den Römern das Forum war, also Freiflächen, die die zwanglose Begegnung der städtischen Bevölkerung ermöglichten, - das hat es in Japan nie gegeben. Wenn für uns diese Plätze entscheidend für die Entwicklung der Demokratie gelten (das Parlament im Grunde das Forum nachbildet), so ist vielleicht erklärlich, warum sich die Demokratie in Japan erst so spät durchsetzen konnte.
Bis heute ist Japan eine strikt vertikal orientierte Gesellschaft, an deren Spitze das Kaiserhaus steht. Wir verbinden das Horizontale des öffentlichen Raumes mit dem Horizontalen des gesellschaftlichen Raumes. Abbau von Hierarchien.
Auch wenn in Tokyo der schiere Platzmangel eine Vertikalisierung erzwingt, - ganz zufällig kommt es mir daher nicht vor, wenn wichtige Orte oder Anlaufpunkte nicht notwendig im Erdgeschoss eines Gebäudes angesiedelt sind. Eine Bar, ein Laden, ein Restaurant im dritten, fünften, dreizehnten Stock eines Gebäudes, - einfach irgendwo mitten drin, das ist ganz normal. Bei uns wäre es entweder im Erdgeschoss, oder ganz oben, "on the top".
Schließlich kommt mir noch als letzte Assoziation, daß die japanische Schrift keine Zwischenräume zwischen den Wörtern kennt. Wo Wörter abgrenzen, muss aus dem Zusammenhang erschlossen werden. Könnte es sein, daß die Leerstellen zwischen den Wörtern so etwas wie öffentlichen Raum bilden?