Kunst, Wissenschaft, Terrorismus
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Neue Zusammenhänge, Verbindungen, haben sich kürzlich mir erschlossen, als ich einige Zeilen über den amerikanischen Künstler Mark Dion las. Wie sich seine Kunst zu Wissenschaft stellt.
Da heisst es:
"Während der herkömmliche Naturbegriff ein menschliches Konstrukt ist, das den wissenschaftlichen Prinzipien folgt, liegt der grosse Vorteil der Kunst darin, dass sie nicht den logischen Gesetzen der Wissenschaft gehorchen muss. Sie darf unlogisch sein, irritieren, die Welt auf den Kopf stellen, zum Lachen bringen. Dadurch schafft sie es, scheinbar zwingende Betrachtungsweisen zu erschüttern und neue Denkformen zu ermöglichen." [1]
Klingt doch ein wenig nach Nietzsches Bonmot: "Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen."
Kunst als das grosse Gegengift, das uns das Dasein erträglicher macht.
Hört sich gut an, mir bleiben einige Zweifel.
Erstens ist Wissenschaft nicht per se logisch, gesetzmässig, zwingend, - sondern sie hat sich Logik, Gesetze und Zwang selbst auferlegt. Davon zeugen die grossen Bemühungen um ihre Fundierung, die u.a. mit den Namen Frege, Russel, Wittgenstein, Popper, Kuhn, schliesslich auch Feyerabend verbunden sind.
Wenn Kunst, vertreten durch die Künstler, sich dagegen abgrenzt, sich selbst keine Gesetze geben mag, - wer macht es dann? Besteht nicht die Gefahr, in der wir vielleicht schon mittendrin leben, dass Kunstfremde sie diktieren? Kuratoren, Kritiker, Sammler, und zuletzt auch die Kulturpolitiker.
Wir sprachen beim letzten multi.trudi Abend (Augenblick III) auch beiläufig über Terrorismus, - IRA, Farc, Lenin, Stalin, Bin Laden. Dabei erinnerte ich mich an meinen Standpunkt, die Sache des Terrorismus müsse nicht notwendig falsch sein, sein grösstes Problem sei die Regellosigkeit.
Weil der Terrorismus kein Gesetz kennt und achtet, wendet er sich in letzter Konsequenz gegen diejenigen, die ihn in vermeintlich bester Absicht ausüben. Kein System hat das grausamer exekutiert als der Stalinistische Terror. Dass Erschiessungen nach Quote und Plansoll durchgeführt wurden war noch nicht schlimm genug, - wurden sie nicht erfüllt, wurden "einfach" auch wahllos Passanten "von der Strasse" hinzugenommen. Schon die Schauprozesse, Simulationen von Gerichtsverfahren, haben dazu geführt, dass jegliches Rechtsempfinden auf Jahrzehnte zerstört wurde.
Der Rück-Bezug zu Kunst mag angesichts der Opfer zynisch erscheinen. Tatsächlich wäre es besser, wenn junge Männer Künstler statt Terroristen würden, und statt Attentaten bloss Aktionen, Happenings und Performances verübten.
Dennoch besteht kein Grund zum Jubel über eine regellose Kunst nach den Ideen von Mark Dion. Die Vorstellung "was alles so geht" mag erhebend sein, dass man Leinwände einfach blau färben, Scheisse in Dosen verpacken oder Spazierstöcke in Fett und Filz wickeln kann.
Ich fürchte, dass solche Willkür den meisten Künstlern mehr schadet als nützt. Wer meint, nach Belieben Kleckse auf eine Leinwand verteilen zu können, dem wird auch so begegnet.
Die Förderung vom Kunst und Kultur ist landesweit mangelhaft. Kriterien sind so gut wie keine zu erhalten, wie z.B. meine Korrespondenz mit Mitgliedern des Kulturausschusses des Hessischen Landtags zeigt. [2]
Ebenso zeigen sich Gremien der Kunstförderung nicht bemüssigt, in irgendeiner Form Begründungen für ihre Entscheidungen abzugeben. Zitat Kunstfonds: "Die Vergabekommission der Stiftung Kunstfonds begründet ihre Entscheidungen grundsätzlich nicht." Grundsätzlich!
Michael Lingner in Hamburg ist der einzige, der das offen bemängelt. Er spricht diesbezüglich von einem "tabuisierten Diskurs". [3]
Als Nietzsche so vehement die Kunst der Wahrheit gegenüberstellte, war diese Wahrheit die bornierte Obrigkeit des Wilhelminischen Kaiserreichs. Diese Zeit ist zum Glück vorbei.
Heute sollten die Künstler zu ihrer eigenen Wahrheit finden, ihr Regeln, Gestalt und Fundierung geben, und sie in der Öffentlich, und gerade gegenüber Kulturpolitikern vertreten. Für Regellosigkeit ist keine Zeit.
* * *
[1] Mark Dion, dargestellt von Maren Polte, in "I love New York" S. 43, Katalog, DuMont 1998
[2] http://last.thing-frankfurt.de/home/bestof2007/hessen-kuenstler01.php
[3] http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt03-1.html