Gesprächsfaden Kunst am Nullpunkt
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Hier findet sich ein Diskussionsverlauf, wie er auf der Thing Mailingliste im Juli 2008 stattfand.
Ausgangspunkt war der Beitrag "Kunst am Nullpunkt" von Stefan Beck.
Gegenüber ihren Abbildungen im Moblog sind hier die Texte von ihren Rückzitaten befreit.
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Stefan Beck schreibt:
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Gestern radelte ich nach Offenbach und hatte folgende Gedanken:
Wenn es keinerlei Grund für das einzelne individuelle Kunstwerk mehr gibt (keinen Anlass, kein Material, keine Geschichte), dann kommt dem System Kunst, dem Kunstbetrieb, eine überragende Bedeutung zu.
Ihm kommt dann die Einordnung, Klassifizierung, Verwaltung und Sammlung der einzelnen Nichtigkeiten zu.
Wie gehen die Künstler damit um?
Indem sie nur noch nichtigere Nichtigkeiten produzieren und ihre ganze Energie ins Marketing stecken?
Oder gibt es auch solche, die den seltsamen Zustand des Kunstsystems thematisieren?
Theoretisch am Schärfsten hat das Michael Lingner in Hamburg gefasst. Der ist zwar Professor an der Kunsthochschule, aber nicht mehr explizit als Künstler. Vielleicht als Konsequenz seiner Überlegungen.
Elaine Sturtevant.
> > Wie zuvor keine andere Künstlerin insistiert Sturtevant mit ihren Arbeiten auf der Frage nach dem wahren Wert von Kunst im Kunstbetrieb, der Autorenschaft, der genuinen Schöpferrolle und stellt die Begriffe Original und Originalität zur Disposition.
http://www.mmk-frankfurt.de/mmk_d/03_sturtevant03.html
Ein interessanter, wenn auch grenzwertiger Ansatz. Auf der Ebene des Werkes sind ihre "Kopien" nur nichtige Nichtigkeiten, als System betrachtet, sind sie ein Angriff auf die Idee der Sammlung und des Museums.
Gibt es noch andere Künstler, die so arbeiten?
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5385
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Brentis antwortet:
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Sehr geerter Herr Beck,
wenn ich ihr Statement so lese, macht mich das ganz traurig.
Was zählt für sie, oder den von ihnen zitierten Prof. noch der Mensch in seiner Tätigkeit als genuin Kunstschaffender?
Ich lese nur noch: Wertschöpfung, Wertsteigerung, verkaufen, vermarkten, Museum etc. Wo bleibt da der/die künstlerisch Tätige mit seinem persönlichen Ansatz, seiner Haltung, seiner/ihrer Position zur Welt, zu sich selbst, ...?
Das Geld will nur sich selbst vermehren, das bischen Kunst als Aktie ist da recht fügsam.
Muss der/die Kunstschaffende diess als Haupthema der Neuzeit" auffassen, akzeptieren, sich nur daran messen (lassen) ? Ist das die aktuelle Herausforderung? Gibt es denn in der Kunst nicht noch genügend seinspezifische, menschennahere Themen, die es mehr-wert sind, sich damit zu befassen? Die Nichtigkeit der Kunst, deren Übergang in den Markt, das sei die Erfüllung?
Schade.
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5386
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Sabine Pint schreibt:
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Hallo zusammen,
ich beziehe mich auf einen Artikel von Stefan Beck auf der "thing frankfurt"-Seite vom 04.08.2005, einer Transkription eines Vortrags von ihm. Darin legt er dar, "warum Ausstellung als Modus der Kunst keinen Sinn mehr macht und welche Aspekte einer zukünftigen Kunst im Internet verwirklicht werden könnten."
Der Artikel ist sehr lesenswert; trotzdem hinterlasse ich hier nur seine Adresse (www.thing-net.de/cms/artikel223.html) und meine Gedanken dazu; ich glaube, das passt zu Ihrem Beitrag...:
Muss man es denn gegensätzlich sehen? Oder ist das besprochene "Ende der Ausstellungskunst" nicht nur ein weiterer Hinweis darauf, dass nichts, aber auch gar nichts festzuschreiben geht? Dass der Kunstmarkt, indem er festschreibt und das auch noch begründet, sich lächerlich macht, und indem er es vehement nicht tut, und das ebenso schlüssig begründet, auch?
Wiederholenswert ist für mich jedenfalls: "Wenn es im Sinne von Groys auf das Museum hin geschaffen wurde, so muss es abgeschlossen sein. Denn das Museum als Garant des Kunstwertes kann sich nicht auf Werke einlassen, deren Wert sich ständig verändert."
Aber genau das tut es! Es lässt sich ein. Es muss dazu stehen, zu sagen 'du bist es wert', und muss sich gefallen lassen, dass es diesen Wert erklären muss. Und der erklärende Mensch (oder eben Sprecher der Institution) tut gut daran, das PERSÖNLICH zu tun, also auf persönliche Art, und nicht seinen Wertbegriff der gesamten Menschheit überzustülpen... Es gibt keinen Wert, den ein Kunstwerk per se innehätte, und es ist egal, welches zum Widerlegen herangezogen würde. Und das gilt auch außerhalb eines "White Cube", für jedweden künstlerischen Ausdruck.
Die Kommunikation selbst ist die Kunst? Oder ist gemeint, dass, wenn Kommunikation so immens wichtig ist/wird, dieses Beuys'sche 'jeder Mensch ein Künstler' langsam einmal die Bestätigung erfährt, die ihm (dem Ausspruch) schon so oft verweigert worden ist?
Die These von Lingner, "dass Kunst nicht mehr vorrangig "da" ist, sondern erst gesellschaftlich-kommunikativ hergestellt werden muss" - hat das nicht zu allen Zeiten schon gegolten, ob erkannt oder nicht? Zeigt nicht GERADE die Kunstgeschichte, die Entwicklung hin zur Modernen und über die Moderne hinaus, in die Gegenwartskunst hinein und - ich wette - über sie hinaus, dass man darüber nun wirklich nicht mehr streiten sollte? Worüber streiten die Leute wirklich, wenn sie darüber streiten? Ich denke, all das entlarvt einmal mehr. Es entlarvt das "Benutzen" von Kunst zu den Zwecken desjenigen, es entlarvt den Sprecher, der sich einen abstrakten Begriff einverleibt und dann auch noch argumentiert --- keinem anderen nicht-definierten Begriff wird so etwas angetan; die Kunst muss es ertragen.
Ich unterstütze den Dialoggedanken in der Kunst leidenschaftlich! Nach allen möglichen Thesen kann dann auch eine Arbeit, ein "Werk" abgeschlossen sein - die mögliche Kunstempfindung wird es nie sein.
Viele Grüße,
Sabine Pint
Nachtrag:
... oder kürzer; entschuldigt bitte das doppelte Posting:
wenn man das "System Kunstmarkt" in einer Arbeit thematisiert, obwohl man eigentlich irgendetwas anderes schaffen wollte, das man dann lässt, weil man dessen Ausdruck mittlerweile für "nichtig" halten muss... DANN erst fügt man sich dem System auf nicht gesunde Weise...
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5388
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Stefan Beck an Brentis:
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Lieber Brentis,
ich bin sehr für eine Kunst, die gedankenvoll ist.
Andererseits nehme ich wahr, dass ich damit einem Kunstsystem und einem Kunstmarkt, was nicht immer das gleiche ist, gegenüber stehe. Wie mich darauf beziehen?
Nachdenklich machte mich vor Jahren die Bemerkung eines Parfum Managers (Channel o.ä.): "Wir müssen runter gehen mit den Produktionskosten, und alles ins Marketing stecken."
Dabei liegen die reinen Produktionskosten von Parfum bei gerade mal 1% des letztendlichen Verkaufswertes. Und mir scheint, der Unterschied zwischen Kunst und Parfum ist gar nicht so gross.
Die ganze Diskussion geht auf Marx Unterscheidung zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert einer Ware zurück.
Wie gehe ich als Künstler mit dem Tauschwert meiner Kunst um?
Übrigens geht es Lingner genau darum. Er sagt keinesfalls, dass die Künstler alles ins Marketing stecken sollen.
Lingner sagt, dass Kunst sich nicht an Objekten, sondern an kommunikativen Handlungen festmachen sollte. Sie sollte explizit realisieren, was implizit längst der Fall ist.
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5390
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Stefan Beck an Sabine Pint:
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Liebe Sabine,
sorry, dass ich Dir noch nicht auf Deinen Kommentar geantwortet habe.
Im Zusammenhang der letzten Beiträge greife ich nochmal das heraus:
> Die These von Lingner, "dass Kunst nicht mehr vorrangig "da" ist,
> sondern erst gesellschaftlich-kommunikativ hergestellt werden muss" -
> hat das nicht zu allen Zeiten schon gegolten, ob erkannt oder nicht?
Das mag vielleicht gegolten haben, aber wurde es auch explizit hergestellt?
Primär schaffen die Künstler immer noch Objekte, und das Kunstsystem honoriert diese Objekte. Das ist der Mythos vom Gebrauchswert.
Tatsächlich, glaube ich, sind aber nachrangige kommunikative Handlungen (Marketing) vonnöten, um die Objekte im Kunstsystem unterzubringen.
Lingner sieht nun, dass der Tauschwert den Gebrauchwert immer mehr überlagert und gänzlich zum Verschwinden zu bringen droht.
In Konsequenz fordert er die kommunikativen Handlungen vorrangig und expizit zu behandeln.
Wie das genau gehen kann, weiss auch er nicht. Ein erster Schritt kann für ihn die Abschaffung der Objekte und damit der Ausstellungen bedeuten.
Eine Übersicht zu Schriften Lingners findet sich hier:
--> http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5391
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Brentis an alle:
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Hallo ihr Lieben, darf ich als Gasthörer" auch etwas dazu bemerken, ?
Schön daß Herr Beck, Marx erwähnt", wie aber damals und auch später (von W. F. Haug in seiner Kritik der Warenästhetik" formuliert, ...) gibt es keinen Tauschwert, wenn an der Basis nicht ein Gebrauchswert existiert. Der Gebrauchswert kann im Äquivalenztausch funktionieren, der Tauschwert braucht ersteren aber zwingend. (W-G-W)
Schön das zumindest unter den Marx Adepten, Haug überhaupt noch von einer Ästhetik" redet. Im hier besprochenen Zusammenhang kann das bedeuten, daß Komminikation, die u.a. im Kunstobjekt entsteht, mittlerweile komplett übersehen wird und entschwindet. (an wen wendet sich denn der Künstler prioritär, an ein Publikum, an Rezipienten, sensibilisierte Interessenten oder nur an: Käufer"?)
Wenn nun das Kunst-Objekt (siehe Lingner) verschwindet und nur Tauschwert zurückbleibt (siehe Beck), was bleibt dann übrig?
Wie sagt W.F. Haug: In einer Gesellschaft, in der entscheidende gesellschaftliche Beziehungen (nur noch) durch Waren vermittelt sind als durch Dinge, die sinnlich betont unterschieden und zugleich absolut gleichgültig sind (!), finden spezifische widersprüchliche Modifikationen der Sinnlichkeit (=der Menschen) der Gesellschaftsmitglieder statt.
und: Für die dem Tauschwert angepasste Beziehung zu den Dingen ist entscheidend, daß durch die sinnliche (= von Menschen wahrnehmbare?) Unterschiedenheit eines Dinges hindurch der Blick beständig auf die einerlei machende Quantität des Tauschwerts gerichtet ist.² (W.F. Haug)
Kunstmarketing rules the world, but which world?
Und: braucht Marketing eventuell bald keine Kunst" mehr?
Oder: ist keine Kunst" dann die Substanz, das Objekt des Kunstmarketings?
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5392
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Stefan Beck an Brentis:
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Zum Gebrauchswert.
Bei Flugzeugen, Bohrmaschinen, Kühlschränken kann ich mir noch einen Gebrauchswert wie Haug vorstellen. Bei Kunstwerken habe ich meine Zweifel.
Nehmen wir den Flaschentrockner von Duchamp. Seine Ironie besteht doch darin, vom Gebrauchswert völlig zu abstrahieren.
Alle modernen Kunstwerke sind nachfolgend so was wie "Flaschentrockner".
Nun sieht Lingner im Zuge einer postautonomen Kunst wieder eine Restitution des Gebrauchswertes. Wenn zB Künstler ihre Arbeit in den Dienst soziale oder politischer Belange stellen, kommt wieder ein Aspekt der Nützlichkeit ins Spiel.
Allerdings ist der Gebrauchswert postautonomer Kunst ein anderer als der blosser Alltagsgegenstände. Ich möchte daher von einem Gebrauchswert 2. Ordnung sprechen.
Der Gebrauchswert 2. Ordnung ist Doublette. Wenn Künstler Sozialarbeit verrichten, so stehen sie bildlich mit einem Bein auf dem Boden des Gebrauchswertes ("Menschen helfen"), mit dem anderen aber im Tauschwertverhältnis des Kunstsystems.
Zusammenhang und Nutzen dieser Doublette sind bislang ungeklärt.
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5393
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Sabine Pint an alle:
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Hallo Stefan, hallo allen anderen,
ich glaube, ich bin einem Missverständnis aufgesessen: die kommunikativen Handlungen sind gleich "Marketing"?
Dann nehme ich alles zurück und muss erstmal wieder überlegen...
was ich bis jetzt verstehe möchte ich nochmal in eigene Worte fassen und bitte um Korrektur (also jetzt mal SEHR frei nach Lingner ;-) ):
weil die Kunstwerke ihren Wert verlieren, den sie bis vor einiger Zeit inne hatten, gilt es, das herauszustellen, was ihren Wert mindert, und daraus eine eigene Kunstform zu machen: das Sprechen über Kunst als gegenstandslose Sache - kann man sagen: über die "Idee Kunst"? (Das kenne ich bis jetzt nur verbaltheoretisch, nicht als eigenständige Kunstform. Und so bin ich bis jetzt sehr gut damit klar gekommen...)
Und wird das dann nicht eine ziemlich ironische bis zynische Angelegenheit? Für was ist diese Kunst bzw. gegen was richtet sie sich? Oder ist es gar kein "Für" oder "Wider", sondern - wie Du schreibst - Konsequenz? Ist das alles das richtige Fazit? Oder beugt man sich zu früh einem System, dem man mittlerweile nur mehr enttäuscht begegnet? Kann die Theorie auch als "Bestrafung" angesehen werden, genauso wie als "Konsequenz"?
Wird mit den Theorien Lingners nicht eine ganz neue Einseitigkeit gefördert, und ist die Verallgemeinerung vonnöten, was "gegenstandsvolle" (als etwas holpriger Gegensatz zu "gegenstandslose") Kunst angeht?
Entschuldige die vielleicht naiven Fragen, aber ich möchte es wirklich gut verstehen; die Denkansätze finde ich sehr wichtig; ich fühle, dass ich nicht mit Lingner konform gehe, aber kann alles noch nicht (im Hirn und in Worte) fassen...
... und jetzt "versuche" ich die Schriften.......
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5394
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Stefan Beck an Sabine Pint:
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hallo Sabine,
bevor ich auf das andere eingehe:
> > Hallo Stefan, hallo allen anderen,
> >
> > ich glaube, ich bin einem Missverständnis aufgesessen: die
> > kommunikativen Handlungen sind gleich "Marketing"?
> >
Soweit ich Lingner verstehe, und auch in meiner Absicht, sind die kommunikativen Handlungen nicht gleich "Marketing".
Ich habe nur da von "Marketing" gesprochen, wo es noch reale Objekte gibt, die Kunststatus beanspruchen.
Quelle: http://moblog.thing-net.de/post.php/5395