Fahrten im geschlossenen Wagen
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Gelegentlich der Alpen-Ausstellung im „pony“ musste ich mich daran erinnern, daß Rilke bei Fahrten durch die Schweiz die Vorhänge im Abteil zuzog, weil er den Anblick der Berge nicht ertragen konnte. Sie kamen ihm „zu unwirklich und künstlich monumental“ vor. Mir scheint, diese Metapher liesse sich auch auf den Zustand unserer Institutionen übertragen. Nehmen wir den Frankfurter Kunstverein zum Beispiel.
Heute erhielt ich eine Pressemitteilung des Kunstvereins zur kommenden Ausstellung „deutschemalereizweitausenddrei“, die, wie der Name schon sagt, sich dem Zustand der Malerei „heute“ widmen soll. Da ist folgendes zu lesen:
„Der Frankfurter Kunstverein ist in den letzten Jahren vor allem mit thematischen Gruppenausstellungen an die Öffentlichkeit getreten, die sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen und mit den allgemeinen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auseinandergesetzt haben. Die Gruppenausstellung deutschemalereizweitausenddrei geht der Frage nach, ob sich ähnliche Tendenzen auch in der Malerei finden lassen.“
Dagegen liesse sich fragen: Und wo sollen diese „Tendenzen“ eigentlich nicht zu finden sein? Selbst unsere Bundesregierung unternimmt bisweilen schüchterne Versuche sich mit „gesellschaftlichen Fragestellungen“ auseinanderzusetzen. Geht später der Kunstverein hin und juriert die Bilder aus, die nicht in sein Raster passen? Wäre eher merkwürdig, denn schliesslich hat ja der Kunstverein die Bilder vorher ausgewählt. Was werden wir also im Rahmen einer methodischen Fragestellung zu sehen bekommen? Statt Ideologie Tautologie (B. Groys)?
Nach vier Jahren Schafhausen an der Spitze des Kunstvereins muss ich feststellen, daß sich der Kunstverein in seiner Substanz nur unwesentlich geändert hat. Gerne widmet man sich jetzt „gesellschaftlichen Fragestellungen“, aber welche Aufgaben nun ein Kunstverein dagegen und dialektisch unternehmen sollte, erfährt man kaum. Der Kunstverein ist eine, zugegeben recht schicke, Box, die nach wie vor den scheinbar neutralen Rahmen für „gesellschaftlichen Fragestellungen“ abgibt. Jedes Jahr gibt’s dann auch die Jahresgaben für die Mitglieder. Man füttert halt ab und zu sein Schäfchen.
Aber auch im im Kleinen ist nicht viel Hoffnung zu finden. Gestern war ich zur Eröffnung der Ausstellung von Lucie Beppler im Ausstellungsraum de Ligt, der bald seine Pforten schliessen wird. Natalie de Ligt hat diesen Raum über mehr als drei Jahre sicherlich mit viel Engagement und Einsatz geleitet, trotzdem habe ich in der ganzen Zeit nichts Neues über den Betrieb eines solchen Raumes erfahren. Für mich war er im Grunde immer eine Mini-Ausgabe, ein verkleinertes Modell, von schon vorgegebenen Institutionen, wie eben dem Kunstverein, dem MMK oder anderen Galerien. Die Kunst darin fügt sich darin nahtlos an die Vorgaben an. Ich glaube, dass die Arbeit von Lucie Beppler in sich stimmig und auch für mich nachvollziehbar ist, gleichwohl verspüre ich in mir eine Enttäuschung darüber, dass sie auch genausogut im MMK hängen könnte. Was auch schon der Fall war. Hier wird Kunst immanent auf einer persönlichen Ebene vorangetrieben, aber am Rahmen von Kunst ändert sich nichts. Es treten dann unweigerlich, wie in einem Theaterstück, jene Typen auf, die sich Sammler, Galeristen oder bloss Interessenten nennen, „Schmeissfliegen“ wie Duchamp sie mal bezeichnet hat. Als spürten sie unfehlbar den Geruch von Verwesung, der über dieser Art von Kunst-Betrieb hängt.
Mich versucht es, wenigstens innerlich, die Vorhänge im Abteil zu schliessen.