Identitätskrise?
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Sehr geehrter Herr Beck,
ja, ich bin krank.
heute zum beispiel gab ich mich an der supermarktskasse als Stefan Beck
aus. dies war um so nötiger als die vorgestreckte waffe nicht wirklich zum
angestrebten ziel führte: den inhalt der ladenkasse in meinen besitz zu
bringen.
aus furcht von der nachbarsfrau erkannt und beschimpft zu werden
rief ich, noch bevor sie ahnte dass ichs bin ich sei Stefan Beck aus
Frankfurt und meine es hier ziemlich ernst.
ein andermal gab ich mich als tilmann baumgärtel aus und stolzierte in den
hartware medien kunst verein dortmund um dort die verantwortlichen davon
zu überzeugen dass nur das spiel und meine kuratorische tätigkeit die welt
vor noch mehr unheil retten wird.
vorgestern erst hielt ich zum wiederholten male einen vortrag
(anticopyright in künstlerischen subkulturen) von florian cramer vor dem
heimischen spiegel auch und gerade weil mir keiner zuhört.
in meinen pass ist der name höchstrichterlich geschwärzt und durch
den aufdruck "depressiv-intolerant" ersetzt worden.
im kulturamt versucht man mich zu negieren oder wahlweise als
auftragskünstler zu prostituieren.
ich weiss nicht wer ich bin und für einen selbstfindungsprozess habe ich
kein geld.
bitte übernehmen sie, doktor beck
--
SaB*
On Thu, 4 Jul 2002, Stefan Beck wrote:
> Herr Büttner,
> hier ist mir via rohrpost folgender text untergekommen:
>
> > In einer Gesellschaft, die auf dem Konzept der Initiative beruht, mutiert
das
> > unternehmerische Regelwerk der Performanz zum Regelwerk der Sozialisation..
> > Das Subjekt ist gehalten, sich ständig neu zu definieren; es gilt, das
eigene
> > Leben so einzurichten, als stünde es in der Macht des Individuums, sich nach
> > Bedarf diese oder jene Identität anzueignen.
> > Darüber hinaus fordert der gegenwärtige Imperativ von uns, selbst
Identitäten
> > zu produzieren, statt uns nach vorgegebenen Mustern disziplinieren zu
lassen.
> > Er setzt die Fähigkeit voraus, ständig aufs Neue
> > Geschwindigkeit/Flexibilität/Verantwortung/Motivation/Initiative zu
beweisen.
> >
> Wie ist ihr ansatz diesbezgl zu verstehen? Sind sie evtl. krank?
>
>
> > Blütezeit der Depression
> > Eingeschränkte Perspektiven
> >
> > Depressionen äußern sich in Selbstzweifeln, dem Gefühl der Unzulänglichkeit
> > und der Erschöpfung, in der Furcht vor der Last der Verantwortung und in der
> > Angst vor Missachtung; während der letzten 30 Jahre ist die Zahl
> > diagnostizierter Depressionen in erheblichem Maße gestiegen.
> >
> > In einer Gesellschaft, die auf dem Konzept der Initiative beruht, mutiert
das
> > unternehmerische Regelwerk der Performanz zum Regelwerk der Sozialisation..
> > Das Subjekt ist gehalten, sich ständig neu zu definieren; es gilt, das
eigene
> > Leben so einzurichten, als stünde es in der Macht des Individuums, sich nach
> > Bedarf diese oder jene Identität anzueignen.
> > Darüber hinaus fordert der gegenwärtige Imperativ von uns, selbst
Identitäten
> > zu produzieren, statt uns nach vorgegebenen Mustern disziplinieren zu
lassen.
> > Er setzt die Fähigkeit voraus, ständig aufs Neue
> > Geschwindigkeit/Flexibilität/Verantwortung/Motivation/Initiative zu
beweisen.
> >
> > Das Selbst steht ständig im Verdacht, zu wenig deutlich Selbst zu sein.
Unsere
> > Anfälligkeit für depressive Identitätskrisen resultiert aus der vergeblichen
> > Anstrengung, die erwartete Leistung zu erbringen und ein erfolgreiches ICH
> > erfolgreich zu verkörpern - Wir scheitern an der Aufgabe, das Selbst in
einer
> > Kultur neu zu definieren, "die scheinbar keine Tradition und kein
moralisches
> > Gesetz mehr präsentiert, und in der an die Stelle des Subjekts im Konflikt
> > zwischen Verbotenem und Erlaubtem allmählich ein Subjekt tritt, das sich
> > stattdessen zwischen dem Machbaren und dem Unmöglichen zu entscheiden hat".
> > Dominik Lejman (Bearbeitung/Übersetzung aus dem Englischen: Bettina Carl)
>
Note: Ich bin nicht Sascha Büttner