Warum die Frankfurter Subkultur kein Wahrzeichen, sondern eine Beleidigung ist
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Die Off-spaces der Bankenmetropole werden von einem kleinen Teil der Bevölkerung als das charakterbildende Wahrzeichen Frankfurts wahrgenommen. Mit Stolz wird auf die subversive und schöpferische Kraft dieser kleinen Räume verwiesen, die Frankfurt von sämtlichen Städten Europas unterscheidet und die sie auch deutlich von Orten ähnlicher Größe, wie z.B. Hannover oder Stuttgart, abhebt.
Dass der Micro-space kein Wahrzeichen sein kann, sondern das genaue Gegenteil darstellt, nämlich eine unverschämte Beraubung öffentlichen Raums, entgeht diesen kunstbeflissenen Mitbürgern gänzlich.
Die Frankfurter Off-spaces-Ansammlung ist der bisherige Höhepunkt der Neuverortung und Kulturokkupation, die die Stadtentwicklung in Deutschland seit Beginn der Achtzigerjahre auszeichnet, sowie eine grobe Beleidigung der eigentlichen Idee der Stadt, wie sie in der Neuzeit entwickelt wurde.
Betrachtet man eben die modernen Städte der Industrienationen aus einer Distanz von ca. 25 Jahren, kann man folgendes sofort feststellen: Die bis heute erhaltenen Bauten und Ruinen dienten ausschließlich der Nutzung durch die Öffentlichkeit! Nicht Denkmäler, Galerien oder Staatsbauten waren der höchste Ausdruck des damaligen Bauens, sondern Privatvillen, Hotels oder Geschäftshäuser. Die Mietkasernen waren, verglichen mit diesen Bauten, trotz ihrer zunehmenden Größe und Zahl von geringer Bedeutung. Nicht der Rückzugsraum und Besitz Einzelner, sondern die Errungenschaften der Allgemeinheit standen an erster Stelle!
Schon im Mittelalter wurde dieser Gedanke realisiert. So war die Kirche, der Dom, das Münster, in jedem Ort das bedeutungsvollste Bauwerk. Da die Kirchen damals nicht nur zum stillen Gebet oder zur Messe, sondern auch als eine Art Marktplatz und in gewissem Maße auch Bildungsstätte genutzt wurden (Bildung im wahrsten Sinne des Wortes, da die Vermittlung der christlichen Lehre ja mittels Bilder und nicht Buchstaben geschah).
Seit Beginn der Ära Wallmann waren die gewaltigsten Bauten stets die, die der Bevölkerung zugute kamen. Gegen das Museum für Moderne Kunst wirkt der Platz der Republik mit seinen umliegenden Off-spaces wie eine Ansammlung fauler Nüsschen, auch der Bau des MAK setzte neue Maßstäbe, nicht zu vergleichen mit den Stahl- und Glastürmen der Bankenmetropole, die nach wie vor die größte kuratorische Kraft repräsentieren.
Der Zweck des städtischen Bauens liegt auf der Hand: Die Menschen erhalten Räume der Identifikation, der Muße, des Zusammenseins, der ihnen eine Verbundenheit und das Gefühl der Wertschätzung durch gemeinsam geleistetes ermöglicht. Ein wichtiger Faktor dabei ist die relative Verschiebung von Orten, bedingt durch die räumliche Mobilität der Bewohner. Hotels als Schaltzentralen, Bahnhöfe und Flughäfen als Umschlagplätze und die Zentren der Hochfinanz als ökonomisches Schmiermittel für eine sich selbst permanent neuverortende Gesellschaft.
Schon mit dem rapiden anwachsen der Städte im 19 Jahrhundert hat sich das Bild deutlich gewandelt. Großstädte wurden zur reinen Ansammlung von Mietskasernen, in denen das vormals prägende Bild allgemein zugänglichem, künstlerischen Schaffens großteils verloren ging.
Und heute ist das Gegenteil der Fall. Im Zeitalter der ersten, für alle geltenden Volksherrschaft (Demokratie) werden dem Volk nicht nur bemerkenswerte öffentliche Orte vorenthalten, sondern man setzt uns frecherweise Micro-spaces vor die Nase, die sich durch eine restriktive Zutrittsbeschränkung definieren!
Da die Öffentlichkeit ja berechtigterweise zu Indifferenz und Oberflächlichkeit neigt und sich darüber hinaus ganz individuell nach neuen Werken und Taten sehnt, an denen sie Teil haben kann, verwechselt sie leider die Off-spaces einzelner Künstler oder Interessengruppen ("Atelier Frankfurt") mit realen Demonstrationen, innovativer Schaffenskraft und künstlerischer Leistung und identifiziert sich so mit denen, die sie kategorisch ausschließt.
Man stelle sich nun folgendes vor: Frankfurt besäße nur die Hälfte seiner Off-spaces (übrigens soll hier die berechtigte Frage nach dem Sinn einer bewussten Ent-ortung des Prinzips Haus nicht aufgeworfen werden), diese aber zum einen nicht als bloße Kopien New Yorker oder Züricher Originale konzipiert, sondern in eigenständiger Erscheinung gehalten und vor allem nicht von Pseudo-Künstlern nebst hobby-kuratorischer Gefolgschaft genutzt werden, sondern der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, z.B. als Bibliotheken, Vortrags- und Versammlungs-Räumlichkeiten, sprich: als Räume zur temporären und freien Gestaltung durch die Öffentlichkeit.
Welch wunderbarer Ort des Zusammenlebens und -schaffens wäre da der Gegenwart und Nachwelt gegeben?
Die Realität ist indes eine andere: Das neue alte Trudisozial ist ungastlicher als eine Tankstelle. Das "Atelier Frankfurt" wird nicht abgerissen, sondern mit fadenscheinigen "konzepten" künstlich am Leben erhalten, zu Lasten der öffentlichen Hand. Der Platz der Republik (Res publica=Sache der Allgemeinheit) ist eine riesige Ansammlung redundanter Micro-spaces, in denen ein Verweilen der Publica nur für die Länge eines "Konzeptabends" stattfinden kann. Der interessierten Öffentlichkeit werden trotz enormer Okkupationsstände kaum Wirkungsstätten eingeräumt. Wenn man darüber nachdenkt wieviel Werbedruck auf ein Kunstobjekt im öffentlichen Raum hinweist, muss das unweigerlich zu Krämpfen führen. Es ist wirklich zum Aus-der-Haut-fahren!