Lesen und Schreiben im Netz
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Thing Hamburg fragt: Sind unsere Texte zu lang?
Ich denke Ja. Auch bei Thing Frankfurt sind die Texte zu lang.
Dem beizukommen ist allerdings nicht ganz einfach. Ich möchte hier einige Lösungsansätze erörtern.
Usability Experten haben uns schon vor langer Zeit erklärt, daß die meisten User gar nicht lesen. Sie scannen bloß den Text nach verwertbaren Stichworten ab. Webseiten sind keine Zeitungen. [1]
Lange Texte bekommen dadurch zwangsläufig einen Archiv Charakter. Was sicher nicht verkehrt ist. Denn schliesslich geht es bei The Thing auch darum archivarisch zu arbeiten und belegen zu können, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt Stellung bezogen hat.
Hier greift der erste und vorläufige Lösungsansatz ein. Die Lesbarkeit durch typographische Massnahmen erhöhen. Ein Beispiel dafür ist der "The 100% Easy-2-Read Standard" der japanischen Seite Information Architects. [2]
Grosse Schrift, viel Zeilendurchschuss und viel Leerraum ("white space") um die Textblöcke.
In einem weiteren Schritt kann man sich der Syntax widmen. Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze. Wie schon Tucholsky seinem Guten Redner empfahl.
Letztlich handelt es sich hier aber um symptomatische Behandlungen, die das Grundproblem nur abmildern können.
Wenn man allerdings das Medium Internet berücksichtigt, von dem die Experten meinen, es wäre "action orientiert", so müssten die Texte gekürzt werden. Und zwar so, dass die UserInnen eine klare Idee bekommen, was sie zu tun haben.
Denn es geht nicht darum angenehme, interessante oder kritische Texte abzuliefern, sondern die Benutzer dazu zu bewegen etwas im Sinne der Webseite zu tun.
Das ist sehr sehr schwierig. 99% aller Webseiten bekommen das nicht hin.
Auch mir als Betreiber von Thing Frankfurt gelingt das nicht. Aber ich habe eine ungefähre Idee, wo in etwa die Lösung liegt. Micro Content.
Warum haben Netzwerke wie MySpace oder Facebook oder Twitter solch einen Erfolg? Weil sie den Benutzern erlauben sehr kleine und dabei konkrete Aktionen durchzuführen. Hier muss man lernen.
Vielleicht wäre ein Twitter Channel schon eine zu grosse Kompression. Ich könnte mir aber das iPhone Format als Mittelweg vorstellen.
Das iPhone ist die kritische Grösse, die einen innerhalb von drei bis fünf Sätze zu formulieren zwingt. Das muss nicht den ganzen Artikel bedeuten, sondern nur die Strukturierung von Inhalten auf einer Seite. (Auch das iPhone ist seitenorientiert.)
Der iPhone Bildschirm erlaubt eine gewisse Textmenge darzustellen, die lesbar ist, aber dennoch schnell zu der Frage führt: Und was jetzt? Lange Texte drücken sich um die Frage, was der Leser denn tun müsse, - bis der Leser einfach verschwindet.
Es wäre eine spannende Herausforderung The Thing und jede andere Webseite grundsätzlich auf das iPhone Format abzustimmen, also alles entsprechend dem iPhone Format zu formulieren.
* * *
Links zum Thema:
[1a] http://www.useit.com/alertbox/9710a.html
[1b] http://www.useit.com/alertbox/percent-text-read.html
[2] http://informationarchitects.jp/100E2R/