Kunst macht Angst
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Warum ist der Umgang mit Institutionen des Kunstbetriebs und ihren Vertretern für Künstler oft so frustrierend und enttäuschend?
Das liegt daran, daß auf dem Grund der Kunst die Angst lauert.
Seitdem das Innovationsgebot [1] in der Kunst Einzug gehalten hat, besteht die theoretische Möglichkeit, daß die Kunst zu jeder Zeit eine andere werden kann. Und damit jede vorhergehende Kunst negiert und über den Haufen wirft.
Jede neue Kunst stellt schon bestehende Kunst in Frage.
Kunst findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ermöglicht die Existenz von Institutionen, - also Museen, Galerien, Kulturämtern und Stiftungen. Am Fortbestand einer bestimmten Kunst hängen ganz konkret Arbeitsplätze und Lebensentwürfe.
Wenn Kunst nicht festgestellt werden, sich jederzeit ändern kann [2], so sind davon auch Menschen in ihrer Existenz betroffen. Wer heute noch an realistische Malerei, an Figuration glaubt, hat schlechte Chancen auf dem kulturellen Arbeitsmarkt. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, daß sich das auch wieder ändert. Vorhersagen kann das niemand.
Die Kriterien für gute, stimmige, erfolgreiche, bewahrenswerte Kunst sind entweder nicht vorhanden, schwammig oder erfordern weiteren personellen Einsatz, der in der Regel nicht vorhanden ist.
Aus der Angst vor der Kunst, aus der Angst das bislang sicher Geglaubte entwertet zu sehen, schließen die Institutionen sich von jeglicher Evaluation ihrer Vorgehensweise aus. Der Deutsche Kunstfonds erklärt, er begründe seine Entscheidungen "grundsätzlich" nicht. Grundsätzlich!
Die Institutionen müssen sich hier und da entscheiden, - weil aber ihre Entscheidung von niemandem beglaubigt werden kann, bleiben sie eine Begründung schuldig. Die Betroffenen, die Künstler, sind in der Regel zu schwach, dieses Defizit zu beklagen, oder umgehen es, in dem sie auf dunklen und illegitimen Wegen Kenntnis von den Beweggründen zu erlangen suchen. "Ich kenn da jemand in der Jury..."
Eine Verbesserung der Lage entstünde, wenn sich die Vertreter der Institutionen zu ihrer Angst, ihrem Unbehagen in der Kunst, bekennen würden. So, wie sich einst Professor Alsleben mit einem Schild vor die Hochschule stelle, auf dem geschrieben stand: "Ich weiß allein nicht weiter...".
Es bleibt zu bemerken, daß sich auch die Künstler ob des Zustandes der Kunst untereinander mißtrauen. Die Klage über mangelnde Solidarität unter den KollegInnen ist durchaus berechtigt.
Die Künstler stehen sich aber gleichberechtigt gegenüber, während die Angestellten des Kunstbetriebs, selbst bei befristeten Arbeitsverhältnissen, ihr verträgliches Auskommen haben.
Ein Museumsdirektor, der Leiter einer Kunstakademie, die Geschäftsführerin einer Landesstiftung dürften in etwa einem Referatsleiter in einem Ministerium oder einer Behörde gleich kommen. Das bedeutet ein Einkommen (A15/A16), von dem die allermeisten Künstler nur träumen können.
Ich fordere von ihnen mehr Angstbereitschaft.
* * *
[1] siehe Boris Groys, Über das Neue
[2] Wir hatten neulich bei multi.trudi ein Diskussion, in der wir die Ähnlichkeit zwischen der Kunst und gewissen Strategien in spekulativen Wertpapiergeschäften feststellten. Ulli machte jedoch den Unterschied geltend, daß in der Finanzwelt die Spekulation wenigstens theoretisch auf fixierte Werte zurückgeführt werden könne, in der Kunst jedoch nie. Kunst ist immer bodenlos.