Überlegungen zur Privatsphäre bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken
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In der letzten Zeit ist gerade Facebook (u.a. auch Google) im Umgang mit der Privatsphäre seiner Benutzer massiv in die Kritik geraten.
Das ist insofern verwunderlich, als doch Privatsphäre das eigentliche Geschäftsmodell dieser Unternehmen ausmacht.
Wenn alles per se öffentlich wäre, wüßte jeder woran er ist. Ihren Benutzern einen von anderen und der allgemeinen Öffentlichkeit abgeschotteten Bereich zur Verfügung zu stellen, hat aber für die sozialen Netzwerke zwei entscheidenden Vorteile.
Warum es Privatsphäre gibt
Zum einen entlastet die Kontrolle über den Zugang zu den eigenen Mitteilungen die User von der unangenehmen Möglichkeit ihre Äußerungen sofort einem unrestriktivem Vergleich ausgesetzt zu sehen.
Die allermeisten Autoren im Internet dürften den Charakter ihrer intendierten Mitteilungen als mehr oder weniger privat betrachten.
Daran scheiterte schon die private Homepage. Weniger an den technischen Fähigkeiten ihrer Betreiber etwas zu publizieren, als an der Frage, was sie denn der Öffentlichkeit mitzuteilen hätten.
Blogging hat das Problem nur verschärft. Die aus den erweiterten technischen Fähigkeiten der Bloggingsoftware erwachsende Vernetzung aller Blogs hin zu einer Bloggosphäre erhöht nur den Druck auf ihre Betreiber die Qualität ihrer Beiträge im Hinblick auf universale Einblicknahme zu bedenken.
Die Folge ist Lähmung. Enthusiastisch stellen die BloggerInnen anfangs drei oder vier Artikel ins Netz. Folgt auf sie keine Reaktion, tritt der grundlegende Zweifel auf den Plan, was eigentlich der Mitteilung an alle lohne. In der grundsätzlich demokratisch gedachten Bloggosphäre beanspruchen im Endeffekt wenige Platzhirsche die Aufmerksamkeit. Der Rest geht leer aus.
Soziale Netzwerke begegnen dieser Aporie mit dem Versprechen auf eine feingliedrig einstellbare Kontrolle über die Zugriffsmöglichkeiten, die den Benutzern erlaubt die Reichweite ihrer Mitteilungen an das vorgestellte Niveau dieser Mitteilungen amzupassen.
Eigentlich eine feine Sache. Endlich können alle wie auf dem Dorfplatz plappern und schnattern, ohne daß es sonst jemand mitbekommt.
Private Bereiche gabs natürlich schon vorher im Netz. Man denke an Intranets. Aber nie zuvor in diesem Ausmaß. Eigentlich ist Facebook das größte Intranet der Welt. Ein Netz im Netz.
Web 3.0, - das ist das Tuschel- und Nuschel-Web. Nicht Semantic Web, eine vollkommen elitäre Konzption für Experten und Nerds.
Die Seite ist leer
Der andere Vorteil für die Betreiber sozialer Netzwerke ihr Angebot in mikroskopisch kleine Privatwelten zu zergliedern besteht in der Entlastung von dem leidigen Problem Inhalte für die Frontpage zu priorisieren.
Was schon für herkömmliche Content-Provider schwierig genug ist (Blogs lösen es durch strikt zeitliche Abfolge), wächst bei den Milliarden von Inhaltselementen eines sozialen Netzwerkes von der Größe Facebooks ins Unermeßliche.
Die Antwort von Facebook lautet einfach: Nichts. Nichts ist auf der Frontpage.
Mit Facebook hat die Entleerung der Frontpage einen neuen Stand erreicht. Bislang hielt Google den Standard die Frontpage bis auf ein Suchfeld und einen Button zu reduzieren. Im Gegensatz zu Facebook ist die Google Frontpage vollkommen barrierefrei der Eingang zu weiteren Inhalten und Interaktionsmöglichkeiten. Wenngleich sie nicht unbedingt von Google selbst stammen müssen.
Auf der Facebookfrontseite gibts keine andere Möglichkeit als mich anzumelden und die mir vorgedachte Privatsphäre zu betreten.
Die Hypothese sei gewagt, die Mächtigkeit eines Internet-Angebots nach der Leere seiner Frontpage zu bemessen.
Daß Myspace derzeit weit abgeschlagen ist, liesse sich direkt aus dem Aufbau seiner Frontpage ablesen. Es findet sich eine Menuleiste mit sieben Punkten, darunter "Inhalte" (Content!) wie "Musik", "Videos" und "Games", darunter ein Teaserbild mit der Aufnahme einer Band, im weiteren eine Wiederholung der Menuleiste durch Diversifizierung des Angebots ("Music Charts", "Konzert-Tickets", "Featured Artist").
Derlei "Gimmicks" haben weder Google noch Facebook nötig. Ihr einziges Angebot besteht in zwei Buchstaben: DU. DU kannst Inhalte finden, DU kannst mit Menschen in deinem Leben in Verbindung treten. Mehr brauchts nicht.
Privatsphäre verkaufen
Nachdem ich hier versucht habe aufzuzeigen, daß Privatsphäre für soziale Netzwerke keineswegs nur vernachlässigbares Beiwerk ist, sondern den Kern ihres Daseins ausmacht, bleibt die Frage zu klären, warum die Unternehmen mit dem zentralen Gut ihres Geschäfts so liederlich und verantwortungslos umgehen.
Die Richtung einer Antwort dürfte in der Annahme liegen, daß Privatsphäre Facebook und Co. in ein Dilemma bringt.
Einerseits treibt sie Benutzer scharenweise (Homepage adé, Blog adé) zu den Netzwerken, andererseits können die Betreiber ihre Neuankömmlinge nicht direkt zur Kasse bitten. Natürlich lautet die Lösung, wie anderswo im Web auch, den Betrieb der Plattform indirekt durch Werbung zu finanzieren.
Anders als bei Google, das nichts anderes macht, als Öffentlichkeit herzustellen und diese Öffentlichkeit dann mit Werbung zu bepflastern, rächt sich in abgeschlossenen Netzwerken das Konzept der Privatsphäre in dem Maasse in dem sie Erfolg hat.
Je granularer die Einstellungen der Einblicksmöglichkeiten, desto weniger Menschen können die Werbung sehen. Werbung, die keine Reichweite erzielt, wird nicht verkauft.
Dieser Schere zu entgehen, muß bei den Unternehmen zwangsläufig die Versuchung aufkommen lassen, es mit ihren Versprechungen nicht allzu genau zu nehmen. Untersuchungen der Electronic Frontiers Foundation haben gezeigt, wie Facebook im Lauf seiner Entwicklung den Schutz der Privatsphäre immer laxer gehandhabt hat. Die massiven Proteste auf Seiten der User, die schließlich die allgemeinen Medien und endlich auch die Politik erreicht haben, zeigen nur, daß die Menschen wissen, warum sie in den Netzwerken sind.
Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht. Mehr Privatsphäre bedeutet weniger Werbung vekaufen.
Wahrscheinlich wird in Zukunft "echte" Privatsphäre extra bezahlt werden müssen.